Mozart, Wolfgang Amadeus

Instrumental Oratorium / The Last Symphonies

The Last Symphonies Concentus Musicus Wien, Ltg. Nikolaus Harnoncourt

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical 88843026352
erschienen in: das Orchester 02/2015 , Seite 74

Ein bisschen verrückt war Nikolaus Harnoncourt ja schon immer, wenn man denn diese Eigenschaft versteht als ein Verschiedensein vom Mainstream, ein Negieren von Moden und anarchistischem Widerwillen gegen Konventionen. Das war schon in den 1950er Jahren so, als der damalige Cellist bei den Wiener Symphonikern sich mit Freunden anschickte, der Barockmusik eine abhanden gekommene Leichtigkeit zurückzuschenken. Das bedeutete die Geburt der historischen Aufführungspraxis, die inzwischen, auch und gerade dank Harnoncourt, zumindest in Form der „historisch informierten“ weitgehend zu Allgemeingut geworden ist. Der musizierende Freundeskreis in Harnoncourts Wohnzimmer war der spätere „Concentus Musicus Wien“. Und beide gibt es immer noch: das großartige Orchester wie den Dirigenten. Letzterer wurde am 6. Dezember 2014 85 Jahre alt.
Das fortgeschrittene Alter hindert Harnoncourt jedoch nicht, immerzu neue Verrücktheiten anzustellen. Längst hat er ja auch mit großen Sinfonieorchestern die Ikonen der Klassik bis ins 20. Jahrhundert hinein gründlich gegen den Strich gebürstet. Jetzt allerdings behauptet dieser greise, weise Dirigent und angesehene, hochdekorierte Musikwissenschaftler allen Ernstes, Mozarts drei letzte Sinfonien seien gar keine voneinander unabhängigen Werke, sondern die drei Teile eines riesigen instrumentalen Oratoriums: die große g-Moll-Sinfonie der nebulös anhebende Mittelteil eines Gesamtwerks, das im Finale der „Jupitersinfonie“ eine wie auch immer geartete Apotheose erfahre.
Sein Plattenlabel Sony folgt dem Meister in dieser wahrhaft ungeheuerlichen These und bringt die Neuaufnahme der drei letzten Sinfonien Mozarts mit dem Concentus Musicus Wien auf einer Doppel-CD heraus. Es ist übrigens das erste Mal überhaupt, dass Harnoncourt diese Musik mit „seinem“ Orchester einspielt. Und wirklich reibt sich der Hörer verwundert die Ohren, als das finale Allegro der Es-Dur-Sinfonie fast nahtlos ins Molto allegro der g-Moll-Sinfonie übergeht. Aber damit hat es sich auch schon mit editorischen Besonderheiten – ganz brav findet sich auf CD 2 nur die C-Dur-Sinfonie und nicht etwa noch ein Sätzchen g-Moll als Übergang.
Nun, aus einem Guss ist diese Aufnahme dennoch, und von besonderer Qualität dazu. Denn Harnoncourt, der den Begriff der „Klangrede“ in die Musizierpraxis des fortgeschrittenen 20. Jahrhunderts einführte, hat in seiner reifen Auseinandersetzung mit Mozarts Spätwerk eine ganze Menge zu sagen. Schon fast selbstverständlich erscheint dabei das höchst differenzierte, jederzeit transparente Klangbild, das die Wiener Alte-Musik-Spezialisten auf sämtlich aus dem späten 17. Jahrhundert stammenden Instrumenten erzeugen. Harnoncourts Analyse und Erfahrung führen dabei immer wieder zu ungewohnten Phrasierungen, rasanten emotionalen Gegensätzen und großen dynamischen Kontrasten. So lebendig, so widerspenstig, so im besten Sinne verrückt hat man Mozart lange nicht gehört.
Armin Kaumanns