Werke von Bruch, Vitali, Saint-Saëns und anderen

Incantation

Virgil Boutellis-Taft (Violine), Royal Philharmonic Orchestra, Ltg. Jac van Steen

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Aparté AP234
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 71

Ein Konzeptalbum ist gerade für Solisten, die (noch) nicht in der ersten Reihe des Klassik-Zirkus angekommen sind, ein bewährter Weg, für Aufmerksamkeit zu sorgen. Der Geiger Virgil Boutellis-Taft, ein famoser französischer Musiker wohl gehüteten Alters und Privatsphäre, der als Solist schon mit etlichen großen Orchestern zusammenarbeitete, hat auf seiner ersten großformatigen CD musikalische Beschwörungen unter dem Titel “Incantation” zusammengestellt. An seiner Seite das Londoner Royal Philharmonic Orchestra unter Jac van Steen.
Es ist ein spannendes, ein interessantes, ein außergewöhnliches Album geworden, das das französische Label Aparté des Sound-Tüftlers Nicolas Bartholomée vorbildlich produzierte. Im Titelwort steckt das Verb „cantare“, singen, dem die hier versammelten Komponisten die Geige zuordneten, jedenfalls meistens. So erleben wir eine neue Instrumentierung des “Danse macabre” von Saint-Saëns, die unter Betonung des knochenklappernden Xylofons von der Klavierfassung angefertigt wurde. Ein bekanntes Zauberstück, in dem das Beschwörerische äußerst pittoreske Züge annimmt. Bruchs “Kol Nidrei”, eigentlich dem Solo-Cello anvertraut, entfaltet auch unter Virgil Boutellis-Tafts begabten Händen jene Magie, die dem jüdischen Ritus entströmen mag. Ernest Blochs Nigun ist ein vor teuflischen Doppelgriffen überquellendes Gesangstück hebräischer Melodik, in der der Solist nach Gusto schwelgen darf. Und Tschaikowskys “Sérénade mélancolique” ist eh für sein in das Rauschen der Wellen wattierte Sentiment berühmt, mit die Geiger der Welt so gern ihr Publikum zum Dahinschmelzen bringen.
Hauptwerk der Kompilation ist Chaussons “Poème”, eine Symphonische Dichtung, die die literarische Vorlage, eine von Zaubereien, Albträumen und orientalischen Verwünschungen geheimnisvolle tragische Liebesgeschichte, in wunderbar reine Klangmalerei auflöst. Hier glänzt Boutellis-Taft mit seiner wunderbaren Montagnana nach Belieben über dem kostbaren instrumentalen Teppich, den das Royal Philharmonic Orchestra ausbreitet.
Als Gegensatzpaar zu diesen hoch- und spätromantischen Emotionsspektakeln wählt der Solist die irgendwie zeitlos wirkende “Chaconne” von Tomaso Antonio Vitali, die fest verwurzelt im Barock sehr emotional daherkommt, und das schmucke “Yumeji’s Theme” des einstigen Rock-Musikers Shigeru Umebayashi (*1951), das aus seinem Soundtrack für den Film “In the Mood for Love” stammt – beschwörend eindringlich und keine drei Minuten kurz.
Virgil Boutellis-Taft fühlt sich ganz offenbar äußerst wohl in dem von ihm gewählten Bedeutungszusammenhang aus Magie und mythisch-religiöser Beschwörung, den er mit profunder Technik und tadellosem musikalischem Geschmack weidlich auskostet. Wie es aussieht, wird man von diesem Geiger noch viel Gutes zu hören bekommen.

Armin Kaumanns