Pēteris Vasks, Franz Schubert

In Evening Light

Sebastian Bohren (Violine), Münchener Kammerorchester, Ltg. Sergej Bolkhovets

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Avie
erschienen in: das Orchester 11/2024 , Seite 72

Schnelle Musiken scheinen sein Ding nicht zu sein. Seine Markenzeichen heißen Adagio, Largo, Sarabande, Calmo, Grave, Lento, auch Misterioso, Tranquillo gar. Und wagt Pēteris Vasks einmal ein Allegro (wie in seinem zweiten Cellokonzert), so kommt selbst das auch nur „moderato“ daher.
Das zweite Violinkonzert Im Abendlicht knüpft nicht nur in seinem Titel an das erste Konzert von 1996/97 (Tālā gaisma, „Das ferne Licht“) an; auch musikalisch stellt es eine vom Komponisten wohlüberlegte Fortsetzung dar. „Wenn ich das Symbol des Lichts wieder aufgreife“, so Vasks, „geht es mir darum zu zeigen, dass nach der Dunkelheit mit ihrer Angst doch wieder das Helle erscheint. Ich bin selbst überrascht, dass jetzt schon Abend ist, mein Lebensabend“, philosophiert der heute 78-jährige Komponist.
Im Zentrum des Konzerts steht das rund 17-minütige Andante cantabile. Hier animiert Vasks das Soloinstrument zu besonderer Bildhaftigkeit. Ein Sprachspiel mit dem Namen des Komponisten sei gestattet: lettisch „vasks“ = deutsch „Wachs“: Sebastian Bohren intoniert das Konzert geradezu wachsweich, bei aller Dramatik führt er es geschmeidig durch die teils schroffen Schluchten des Orchestersatzes. Die solistischen Kantilenen des dritten Satzes („con amore“) werden von Sebastian Bohren mit geradezu zärtlichem Bogen ausgeführt.
Die von Vasks Einsamer Engel („Vientuļais Eņġelis“) getaufte Meditation entstand bereits 2006 im Gedenken an die verstorbene Mutter des Komponisten. Gerade heute erscheint dieses Werk von bedrückender Aktualität, wenn der vor allem tonal schreibende Vasks sich darüber äußert: „Das Stück ist die Vision eines Engels, der einsam über die Menschen hinwegfliegt, voller Trauer darüber, welche Aggressivität und Grausamkeit zwischen ihnen ist.“ Eine ergreifende, im besten Sinne schöne, singhafte Musik, der Bohren den angemessenen melodischen Fluss verleiht.
Schuberts h-Moll-Rondo für Violine und Klavier (D 895) begegnet uns auf dieser CD in einer kongenialen Bearbeitung für Violine und Streicher des amerikanischen Pianisten Paul Suits. Dieses weitgehend temperamentvolle Werk steht hier ein wenig einsam und zusammenhanglos zwischen den doch recht meditativen Kompositionen Vasks’. Ein weiteres Werk des Letten hier zu kommunizieren, wäre gewiss sinnvoller gewesen!
Insgesamt aber ein wunderbares Album mit einem hervorragend aufgelegten, verständig interpretierenden Solisten und einem Münchner Kammerorchester, das unter dem schwedischen Geiger und Dirigenten Sergej Bolkhovets zu seiner höchsten Form aufläuft.
Dazu kommt ein Beiheft, das an Informationen zu den Werken und Ausführenden keine Wünsche offen lässt.
Friedemann Kluge