Biermann, Wolf
in diesem Lande leben wir….
Sololieder, Chorwerke.
Ein bisschen missverständlich, der Untertitel dieser CD. Sie enthält tatsächlich Sololieder, aber die singt der eigenwillige Liedermacher selbst. Und die Chorwerke, die der Chamber Choir of Europe unter Gunnar Eriksson im konsequenten Wechsel mit Wolf Biermann vorträgt, sind Arrangements von weiteren Biermann-Liedern. Diese Bearbeitungen hat teils der renommierte schwedische Chorleiter und Komponist selbst angefertigt, teils stammen sie von seinem ebenfalls in Göteborg wirkenden Kollegen Stefan Forssén. Was stimmt, ist der Titel: Die Lieder dieser CD, darunter viele berühmte, kreisen um Deutschland. An diesem Lande, das er liebt, leidet Biermann, ähnlich wie sein großes Vorbild Heinrich Heine und das um so mehr, je mehr er sich seiner deutsch-jüdischen Wurzeln bewusst wird.
Biermanns ein wenig zerklüftete und stark assoziative Art zu denken und zu dichten, zu singen und zu komponieren, macht es dem Arrangeur nicht leicht. Stefan Forssén selbst schreibt, dass der Liedermacher sich wie ein bescheidener, aber rücksichtsloser, einsamer Wolf zurückzieht mit seiner eigenwilligen Gitarre, seiner besonderen Art zu singen und seinem völlig eigenen timing!? Wie will man so etwas übertragen? Die beiden schwedischen Experten gehen mit skandinavischer Unbefangenheit und
all ihrer Professionalität zu Werke. Forssén reizte es, den Charakter der Musik ein bisschen wegzurücken von Biermanns eigenem Stil. Und Eriksson bekennt sich zu freien und variierenden, auf ihrem Sinnzusammenhang beruhenden Bearbeitungen.
Das Ergebnis liegt nahe an der großen deutschen Chortradition. Die vier- bis achtstimmigen Sätze bewegen sich klanglich zwischen Johannes Brahms und Hugo Distler, zwischen schlichtem Volksliedsatz und harmonisch und rhythmisch geschärftem Jazz. Und so kultiviert, wie der Chamber Choir of Europe singt, haben diese Chorsätze ihren ganz eigenen Charme. So ganz stimmig wirken sie indessen nicht immer. Erikssons Fassung von Und als wir ans Ufer kamen etwa steht als Chorsatz gut für sich, aber Wann ist denn endlich Frieden? überrascht durch ein plötzliches, in der Aussage unsicheres Ende. Hier und an anderen Stellen wünscht man sich doch etwas mehr vom rauen Stil eines Hanns Eisler, oder die eine oder andere Brechung im Stil der Neuen Musik. Dennoch ist diese CD ein reizvolles Experiment und ein interessantes Biermann-Porträt.
Andreas Hauff