Impression
Werke von William Alwyn, Johann Wenzel Kalliwoda, Henri Dutilleux, Nino Rota, Antonio Pasculli
Wie vielseitig die Möglichkeiten des Spiels auf der Oboe von lyrisch-elegischen und pastoralen Klängen bis zu hochvirtuosen Passagen sind, wird auf dieser CD mit eher unbekannten Werken recht anschaulich demonstriert. William Alwyns (1905-1985) Oboensonate lebt von impressionistischen Anklängen; gelegentlich hört man auch den Einfluss von Bartók heraus. Jedoch erst am Beginn des dritten Satzes findet Alwyn zu einer eigenständigen musikalischen Sprache.
Das Morceau de Salon von Johann Wenzel Kalliwoda (1801-1866) ist ein schön anzuhörendes, gefälliges Stück mit Variationen. Hier scheint genau das erfüllt, was E.T.A. Hoffmann als Bedürfnis seiner Zeit so formulierte: Eine Musik, die neben dem Tee [
] von der schönen Welt so ganz gemütlich wie jener eingenommen wird. Damit es nicht allzu gemütlich wird, sind von Kalliwoda jedoch zahlreiche virtuose Passagen eingeflochten, die der Oboist Katsuya Watanabe bravourös bewältigt.
Andere Herausforderungen bietet die musikalisch sehr dichte Oboensonate von Henri Dutilleux (*1916), in der das Klavier keineswegs nur zur Begleitung der Oboe dient, sondern von Beginn an eine eigenständige musikalische Faktur hat. Sowohl der Pianist David Johnson als auch Watanabe überzeugen durch intelligente Gestaltung und sie erweisen sich wie auch in den anderen Kompositionen als absolut ebenbürtige Partner.
Nach einer wenig ergiebigen Elegia des vor allem durch seine Filmmusiken bekannt gewordenen Nino Rota (1911-1979) bildet Antonio Pascullis (1842-1924) Gran Concerto su temi dallopera I Vespri Siciliani di Verdi den bravourösen Abschluss dieser CD. Der Oboen-Virtuose Pasculli, der Paganini der Oboe, ist in jüngster Zeit wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Katsuya Watanabe meistert die immensen Schwierigkeiten dieser Opernparaphrase, wobei seine Technik nie zum Selbstzweck ausartet, sondern immer Bestandteil der musikalischen Gestaltung bleibt. Erstaunlich ist, dass Pasculli bei seiner Themenauswahl nicht die zumindest heute bekannteste Arie dieser Oper, “Procidas O tu Palermo”, berücksichtigt hat.
Eine Kleinigkeit am Rande: Im Booklet, in dem leider nirgendwo die Lebensdaten der Komponisten angegeben sind, erscheint ein lesenswerter Beitrag eines renommierten Dirigenten und Musikwissenschaftlers über die Virtuose Oboe. Hier verwundert es, dass es der Autor im Hinblick auf die Entstehung der Alwyn-Sonate bei reiner Spekulation belässt. Die Sonate entstand schließlich nicht um 1955, sondern bereits im Jahr 1934, wie der Copyright-Vermerk in den Noten sowie die Angaben in der MGG und im New Grove übereinstimmend belegen. Ende der 1930er Jahre war das Werk in England so populär, dass es bei der BBC gar als Your choice for the week auftauchte.
Dieser Lapsus schmälert jedoch keineswegs den Wert dieser in passablem Klangbild erschienenen CD, auf der uns die beiden Interpreten überzeugende Kostproben ihres Könnens und somit Anregungen zur Erweiterung des Repertoires für Oboe geben.
Thomas Lang