Sunjoo Cho

Imjae II

for percussion quartet

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Edition Gravis
erschienen in: das Orchester 10/22 , Seite 65

Konzerte von Schlagzeug­ensembles sind logistische Meisterwerke, bei denen Wagenladungen an Stabspielen, Trommeln, Becken, Gongs und Stativen bewegt werden. Weil die Aufbauten der einzelnen Stücke variieren, muss während des Konzerts mehrfach umgebaut werden. Hier ein paar Trommeln umstellen, dort ein Vibrafon an eine andere Position schieben – viele kleine Eingriffe brauchen Zeit, das Publikum wartet, der Spannungsbogen des Konzerts geht verloren.
Um diesem Missstand abzuhelfen, hat Olaf Tzschoppe, Schlagzeuger und Professor an der Hochschule für Künste Bremen, für das Schlagzeugensemble der Musikhochschule auf Abhilfe gesonnen. Er definierte einen genau festgelegten Instrumentenaufbau und vergab für diese Konstellation Kompositionsaufträge an verschiedene Komponist:innen. Die Auswahl der Instrumente ist wohlüberlegt. Vibra- und Marimbafon sowie Crotales bieten mit ihren bestimmten Tonhöhen harmonisch-melodische Möglichkeiten, Effektinstrumente sowie Trommeln und diverse Idiofone schaffen höchst unterschied­liche Klangräume. Die Auswahl ist aber auch sehr ökonomisch. Für Instrumente und Zubehör des Schlag/Art-Projekts muss kein LKW gemietet werden, alles passt in den VW-Sharan des Ensembleleiters.
Nach und nach erscheinen nun in der Edition Gravis die Notenausgaben der für Schlag/Art entstandenen neuen Werke. Auf Klang-Bilder von Zsigmond Szathmáry folgt aktuell Imjae II von der aus Korea stammenden Komponistin Sunjoo Cho.
Imjae II wurde 2017 im Auftrag des Schlagzeugensembles der Hochschule Bremen unter der Leitung von Olaf Tzschoppe als Komposi­tion zur 500-Jahr-Feier der Reformation geschrieben. Für die kompositorische Gestaltung ihres Werks wählte die Komponistin den Luther-Choral Ein feste Burg ist unser Gott als form- und strukturbildendes Hilfsmittel. „Imjae“ bedeutet nach Angabe der Komponistin so viel wie die äußerliche Präsenz von Gott und ist Ausdruck der christlich-gläubigen Seite ihrer Person. Die Klangwelt von Imjae II ist die der Avantgarde, nur einige angeraute choralartige Marimbatremoli und wenige kurze melodische Wendungen der Stabspiele lassen im klanglichen Phänotyp die religiöse Thematik erahnen. Prägend für das Stück sind große dynamische und energetische Gegensätze. Kurze Trommelrhythmen, überlagerte Tempi und intensiv komplexe Strukturen kontrastieren mit Momenten eines klangvollen Innehaltens. Im Raum verteilte Wirbel auf Bongos, Congas, Tomtoms und kleiner Trommel sorgen für dynamische Höhepunkte.
Das ca. elfminütige Stück hat eine spannende Dramaturgie, immer wieder gibt es überraschende Entwicklungen – bevor Imjae II mit dem Crossfade von verebbenden Trommelwirbeln mit langsamer und lauter werdenden Einzelschlägen einer großen Trommel endet. Dass Imjae II im Jahr 2021 den Publikumspreis beim Video-Wettbewerb des Bremer Realtime-Festivals gewann, verwundert nicht.
Stephan Froleyks