Im schönsten Wiesengrunde

Deutsche Volkslieder. Daniel Blumenschein (Bariton), Leipziger Symphonieorchester, Ltg. Robbert van Steijn

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 03/2023 , Seite 71

Die vorliegende Sammlung umfasst ein gutes Jahrhundert deutscher Volkslieder, darunter zahlreiche, die bis heute populär geblieben sind. Der Mond ist aufgegangen, 1790 von J. A. P. Schulz komponiert, zählt sicherlich zu den echten Evergreens, und auch Guten Abend, gute Nacht, 1868 von Johannes Brahms geschrieben und in vielen Kinderzimmern zuhause, bleibt zeitlos. Volkslieder im 19. Jahrhundert waren etwas anderes als heute. In den Volksliedern teile sich, so der Philosoph Johann Gottfried Herder, der Volksgeist mit; und so avancierten die Lieder, ähnlich wie die Märchensammlungen der Brüder Grimm, zu hoch aktuellem künstlerischen Material, an dem sich die Komponisten abarbeiteten. Zu schreiben wie das Volk, schlicht und ausdrucksvoll, galt als Auszeichnung. In osteuropäischen Ländern führte diese Entwicklung zum Folklorismus, der als treibende innovative Kraft die Kunstmusik erneuerte. Deutschland blieb in dieser Entwicklung außen vor. Und die nationalsozialistischen Entwicklungen huldigten zwar dem Volkslied, haben es aber aus späterer Sicht fast anrüchig aussehen lassen. Umso begrüßenswerter ist die Initiative, sich dem Volkslied in Gestalt der komponierten Volksweisen aus rein musikalischer Sicht erneut anzunehmen.
Daniel Blumenschein als Initiator dieses Projekts prägt mit der kunstvollen Innigkeit seines Vortrags den musikalischen Gehalt der Lieder. Getragen vom ausgefeilten Klang des Orchesters in den Bearbeitungen des Komponisten Stephan König, reicht die ausgewählte Liedpalette vom humorigen Horch, was kommt von draußen rein über das beschwingte Liebeslied Du, du liegst mir im Herzen bis zum tieftraurigen In einem kühlen Grunde, das die dunkel-dramatische Seite der Volksweisen bloßlegt.
Das Projekt besticht einerseits durch seine musikalische Innigkeit und Professionalität, in der sich Stimme, Klangfarbe und Arrangement zu hinreißendem Ausdruck verbinden. Auch Originalität lässt sich der Instrumentation nicht absprechen, die stets der Weise spezifischen Charakter verleiht. Andererseits aber setzt alles doch auf den Wohlklang; Brüche, Abgründe, die textlich vorhanden sind, bleiben musikalisch abgefedert. Da fragt sich der Rezensent schon, warum nicht mehr riskiert wird. Die Antwort darauf dürfte im Geist der „Volksweise“ aufzufinden sein, die am Ende doch nicht der Volksgeist selbst ist, eher das, was für den Volksgeist gehalten wird. Auch das hat seine Geschichte und sein eigenes Recht, zweifellos. Und daher ist die vorliegende CD in ihrer Auswahl und Darbietung ein ganz wundervolles Projekt, das musikalische Tiefendimension besitzt. Es kommt aber sehr brav daher und entfaltet subversive Kraft einzig in Momenten der Instrumentenwahl, wenn Klarinetten minimalistisch die innige Volksweise kontrapunktieren. Davon hätte sich der Rezensent mehr gewünscht.

Steffen A. Schmidt