Antonio Vivaldi

Il Tamerlano

Accademia Bizantina, Ltg. Ottavio Dantone

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naïve
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 70

Vor einem Jahrhundert wur­den über 20 Opern Vivaldis wieder­entdeckt, und nach und nach wer­den sie von Barockensembles doku­mentiert. Die Bühnenmusik des einflussreichen Komponisten, Im­pressarios und ausgebildeten Priesters reiste nicht nur durch Italien, sondern bis nach Prag und Wien. Die 1735 in Verona uraufgeführte „tragedia per musica“ Il Tamerlano – Stoff einer gleichnamigen Hän­del-Oper – stammt aber nicht ganz aus Vivaldis Feder, sondern importiert auch Arien von Hasse, Giaco­melli, Porpora und Broschi.
Die treibenden, motorischen Rhythmen, die man aus Vivaldis zahlreichen Streichkonzerten kennt, sind die Konstante in diesem Opern-Pasticcio. Die Handlung: Der türki­sche Sultan Bajazet (Bariton Bruno Taddia) wurde vom Tartaren-Herr­scher Tamerlano (Kontratenor Fi­lippo Mineccia mit großem Stimm­umfang) besiegt und zusammen mit seiner Tochter Asteria (mit dämm­riger Stimme: Altistin Delphine Ga­lou) gefangen genommen. Letztere liebt den griechischen Prinzen An­dronico (Sopran: Marina De Liso), einen Verbündeten Tamerlanos. Doch auch Tamerlano begehrt As­teria und löst ihretwegen seine Ver­lobung mit Irene (virtuos: Mezzo­sopran Sophie Rennert), der Prin­zessin von Trapezunt. Um Irene zu entschädigen, beschließt er, sie mit Andronico zu vermählen und den beiden die Herrschaft über das er­oberte Byzanz zu überlassen. Bajazet ist zutiefst empört über dieses Verhalten. Er will seine Tochter un­ter keinen Umständen mit seinem Feind verheiratet wissen. Asteria wiederum fühlt sich von Andronico verraten, da sie glaubt, dass er mit dem Plan einverstanden ist. Von Bajazet unter Druck gesetzt, willigt sie schließlich in die Hochzeit ein – doch nur zum Schein, denn sie be­absichtigt, Tamerlano zuvor zu er­morden. Ihren ersten Anschlag gibt sie selbst auf, als sie von einem Zor­nesausbruch ihres Vaters getroffen wird. Einen zweiten Mordversuch vereitelt Irene. Angesichts der dro­henden Demütigung seiner über­führten Tochter tötet Bajazet sich selbst. Als daraufhin Irene und Andronico Tamerlano um Gnade für Asteria bitten, gibt dieser nach und sorgt für ein glückliches Ende: Andronico und Asteria dürfen hei­raten und erhalten den Thron von Byzanz. Er selbst bekennt sich wie­der zu Irene.
Bajazets Arien hat Vivaldi selbst übernommen: Wütend pul­siert die Begleitung der Accademia Bizantina unter der Leitung von Ot­tavio Dantone z.B. zu Bajazets „Dov’é la figlia?“. Dramaturgisch passend ist es, dass den Arien seines Feinds Tamerlano weniger emotio­nale Tiefe verliehen wurde. Zwischen Rezitativen und Arien abwechselnd, entfaltet sich die Musik streckenweise formelhaft zu der intrigenrei­chen Handlung.
Zu dieser durchaus qualitätvol­len Einspielung hätte Reinhard Strohm in seinem Booklettext den Kontext des Machtspiels etwas bes­ser erläutern können: Während die Herkunft des türkischen Sultans Bajazet und des griechischen Prin­zen Andronicos angegeben wird, bleibt die Identität von Tamerlano als zentralasiatischer Heerführer unbekannt.
Rebecca Schmid