Antonio Vivaldi
Il Tamerlano
Accademia Bizantina, Ltg. Ottavio Dantone
Vor einem Jahrhundert wurden über 20 Opern Vivaldis wiederentdeckt, und nach und nach werden sie von Barockensembles dokumentiert. Die Bühnenmusik des einflussreichen Komponisten, Impressarios und ausgebildeten Priesters reiste nicht nur durch Italien, sondern bis nach Prag und Wien. Die 1735 in Verona uraufgeführte „tragedia per musica“ Il Tamerlano – Stoff einer gleichnamigen Händel-Oper – stammt aber nicht ganz aus Vivaldis Feder, sondern importiert auch Arien von Hasse, Giacomelli, Porpora und Broschi.
Die treibenden, motorischen Rhythmen, die man aus Vivaldis zahlreichen Streichkonzerten kennt, sind die Konstante in diesem Opern-Pasticcio. Die Handlung: Der türkische Sultan Bajazet (Bariton Bruno Taddia) wurde vom Tartaren-Herrscher Tamerlano (Kontratenor Filippo Mineccia mit großem Stimmumfang) besiegt und zusammen mit seiner Tochter Asteria (mit dämmriger Stimme: Altistin Delphine Galou) gefangen genommen. Letztere liebt den griechischen Prinzen Andronico (Sopran: Marina De Liso), einen Verbündeten Tamerlanos. Doch auch Tamerlano begehrt Asteria und löst ihretwegen seine Verlobung mit Irene (virtuos: Mezzosopran Sophie Rennert), der Prinzessin von Trapezunt. Um Irene zu entschädigen, beschließt er, sie mit Andronico zu vermählen und den beiden die Herrschaft über das eroberte Byzanz zu überlassen. Bajazet ist zutiefst empört über dieses Verhalten. Er will seine Tochter unter keinen Umständen mit seinem Feind verheiratet wissen. Asteria wiederum fühlt sich von Andronico verraten, da sie glaubt, dass er mit dem Plan einverstanden ist. Von Bajazet unter Druck gesetzt, willigt sie schließlich in die Hochzeit ein – doch nur zum Schein, denn sie beabsichtigt, Tamerlano zuvor zu ermorden. Ihren ersten Anschlag gibt sie selbst auf, als sie von einem Zornesausbruch ihres Vaters getroffen wird. Einen zweiten Mordversuch vereitelt Irene. Angesichts der drohenden Demütigung seiner überführten Tochter tötet Bajazet sich selbst. Als daraufhin Irene und Andronico Tamerlano um Gnade für Asteria bitten, gibt dieser nach und sorgt für ein glückliches Ende: Andronico und Asteria dürfen heiraten und erhalten den Thron von Byzanz. Er selbst bekennt sich wieder zu Irene.
Bajazets Arien hat Vivaldi selbst übernommen: Wütend pulsiert die Begleitung der Accademia Bizantina unter der Leitung von Ottavio Dantone z.B. zu Bajazets „Dov’é la figlia?“. Dramaturgisch passend ist es, dass den Arien seines Feinds Tamerlano weniger emotionale Tiefe verliehen wurde. Zwischen Rezitativen und Arien abwechselnd, entfaltet sich die Musik streckenweise formelhaft zu der intrigenreichen Handlung.
Zu dieser durchaus qualitätvollen Einspielung hätte Reinhard Strohm in seinem Booklettext den Kontext des Machtspiels etwas besser erläutern können: Während die Herkunft des türkischen Sultans Bajazet und des griechischen Prinzen Andronicos angegeben wird, bleibt die Identität von Tamerlano als zentralasiatischer Heerführer unbekannt.
Rebecca Schmid