Werke von Gerardo Gardelín, Enrique Crespo und Ángel Gregorio Villoldo
Il Porteño
Siegfried Jung (Tuba), Johanna Jung (Harfe), Susanne Endres (Klavier)
Spätestens seit dem vergangenen Jahr dürfte allen klar sein, dass die Tuba viel mehr kann als vermeintlich bierseliges Rhythmusgestampfe. Als Instrument des Jahres 2024 machte die Tuba in vielen neuen Aufnahmen und Konzerten unter anderem deutlich, dass sie nur äußerlich massig ist: Eigentlich besitzt sie eine höchst empfindsame Seele und ist zu so großer Zartheit fähig, dass Trompeten oder Posaunen vor Neid erblassen können. Um diese Sensibilität aus ihr zu locken, muss man nicht zwingend so gut spielen wie Siegfried Jung, aber es hilft ungemein. Der Solotubist des Nationaltheaters Mannheim, zugleich Mitglied im Bayreuther Festspielorchester, hat mit Il Porteño nun sein zweites Album vorgelegt, wieder gemeinsam mit seiner Frau Johanna Jung, die Harfe spielt – und mit der Pianistin Susanne Endres.
An dieser CD ist so ziemlich alles besonders: der Klang, die Stimmung, die spielerische und musikalische Qualität, die Unterhaltsamkeit – und die Innovationskraft der eingespielten Kompositionen. Im Mittelpunkt stehen südamerikanische Kompositionen, namentlich Tangos verschiedener Herkunft. Gleich zu Beginn der Aufnahme, in Gerardo Gardelíns Suite Un Porteño en Bucarest, schaltet man als Hörer:innen in den Entspannungsmodus. Pointiert, mit schwindelerregender Virtuosität und federleicht, immer mit ein wenig Understatement und feinem Vibrato, springt, hüpft, tanzt und schlendert Siegfried Jung eine Nacht durch Bukarest, gibt sich der Melancholie hin und sucht nach „ein wenig Glück“. Die Aufnahmetechnik stellt dabei die Tuba beinahe in den Hintergrund, was anfangs etwas irritiert, jedoch zur relaxten Grundstimmung bestens passt. Wenn Jung in der unteren Mittellage zu einer Melodie anhebt, wird es einem warm in der Magengrube. Natürlich ist das Zusammenspiel mit Susanne Endres und Johanna Jung unzählige Male erprobt und gelingt blind. Die Kombination mit Harfe trägt eine ganz ungewohnte, jenseitige Klangfarbe ein.
Alle Qualität in der Ausführung wäre freilich hinfällig, wenn Siegfried Jung Bearbeitungen der schönsten Opernmelodien oder gar Wiesenhits aufs Aufnahmeprogramm gesetzt hätte. Herz der Einspielung sind Werke des Argentiniers Gerardo Gardelín, die eigens für den Tubisten geschrieben wurden und auf betörende Weise Latinrhythmen mit klassischer Moderne vereinen. Keine Überraschung, aber doch eine Entdeckung sind die Escenas Latinas von Enrique Crespo, der nach seinem Tod vor knapp fünf Jahren immer mehr auch als großartiger Komponist (und nicht nur als Posaunist) in den Fokus rückt. Abgerundet wird die Zusammenstellung durch Tangoklassiker von Carlos Gardel und Ángel Villoldo. Und als Höhepunkt wartet am Ende Gerardo Gardelíns Tango-Fantasie mit allen drei Instrumenten. El inmortal, „Der Unsterbliche“ heißt sie. Ein passender Titel.
Johannes Killyen