Werke von Puccini, Bottesini, Massenet und anderen

Il Carnevale di Venezia

Michael Rieber (Kontrabass), Götz Schumacher (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Es-Dur ES 2063
erschienen in: das Orchester 06/2016 , Seite 73

Kontrabassisten in Aktion zu erleben, ist schon etwas Besonderes. Es sind die Athleten unter den Streichern, ihr Körpereinsatz ist erheblich. Auf dem stattlichen, der Gambenfamilie entstammenden Instrument muss die linke Hand weite Distanzen zurücklegen und die dicken Saiten wollen in Schwingung versetzt werden. Das kostet Kraft und kann zu veritabler Akrobatik werden, wenn hier ein Virtuose ans Werk geht.
Und ein solcher ist Michael Rieber ganz bestimmt. 1967 in Tübingen geboren, präsentiert der Musiker sich auf dieser CD als ein wahrer Meister seines Instruments. Derzeit ist er erster Solo-Kontrabassist des NDR Sinfonieorchesters und Professor an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Außerdem ist er als Kammermusiker und Solist unterwegs. Mit dem Pianisten Götz Schumacher verbindet ihn eine langjährige künstle­rische Partnerschaft.
Für die CD mit dem vielversprechenden, die Fantasie anregenden Titel Il Carnevale di Venezia hat Michael Rieber ein facettenreiches Programm aus eigenen Bearbeitungen zusammengestellt, das bunt mit Originalkompositionen gemischt ist. Als Kontrabassist, der auch das gängige Opernrepertoire in- und auswendig kennt, hat er populäre Arien wie „E lucevan le stelle“ aus Puccinis Tosca oder „Casta diva“ aus Bellinis Norma, aber auch Stücke wie die berühmte „Méditation“ aus Jules Massenets Oper Thaïs oder Mendelssohns Lied ohne Worte op. 30 Nr. 9 auf sein Instrument übertragen.
Und wie auf dieser CD zu hören ist, funktioniert das wunderbar. Das Kantable entfaltet ganz seine Wirkung, die Musik verliert nicht, sie wird auch nicht karikiert. Man staunt schon ein wenig, wenn man diesen „alten Bekannten“ in einem neuen Klanggewand und in einem anderen, ungewohnten Kontext wiederbegegnet. Was hier letztlich den Genuss ausmacht, ist Riebers Fähigkeit, sein Rieseninstrument, einen Kontrabass von Pietro Pallotta aus dem Jahr 1819, zum Singen zu bringen, den Ton zu formen, Kantilenen zu atmen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei das Vibrato. Bei Rieber hat es genau die richtige Geschwindigkeit und Schwingungsweite, vor allem ist es nicht zu langsam. In manchen Lagen meint man fast ein Cello zu hören, doch über das gesamte Spektrum besitzt der Kontrabass eine genuin eigene Klangfarbe.
Giovanni Bottesinis Introduktion und Variationen über Il Carnevale di Venezia geben dem Virtuosen hinreichend Raum zur Entfaltung, dieses Bravourstück aus der Feder des italienischen „Paganini des Kontrabasses“ ist auch in der Interpretation des Duos Rieber/Schumacher ein echtes Highlight. Ebenso die Variationen über „Nel cor più non mi sento“, die berühmte Arie aus der Oper La Molinara von Giovanni Paisiello. Zu den Originalkompositionen gehören auch Chanson triste und Valse miniature von Serge Koussevitzky, der seine Musikerlaufbahn als Kontrabassist begann, bevor er schließlich als Dirigent berühmt würde. Ein kurzweiliges Programm nicht nur für Spezialisten.
Norbert Hornig