Xaver Paul Thoma
III. Kammersymphonie op. 186
Partitur/Stimmensatz
Wie die 1978 und 1988/89 komponierten Vorgängerstücke hat Xaver Paul Thoma (*1953) seine jüngste, für 18 Spieler geschriebene Kammersymphonie mit der Geschichte eines bestimmten Ortes verknüpft.
Dass die 2018 uraufgeführte Auftragskomposition aus Anlass des 425-jährigen Bestehens des Staatsorchesters Stuttgart entstanden ist – eines Klangkörpers, dem Thoma selbst als Bratscher angehört – zeichnet sich deutlich in der Faktur des Komponierten ab und verweist darauf, dass Tradition hier als Fundament und Verständnisgrundlage heutigen Klangempfindens begriffen wird.
Ausgehend von dem Wunsch, möglichst viele der an dieser Wirkungsstätte tätigen Dirigenten und Komponisten durch musikalische Zitate zu würdigen, schuf Thoma eine Klang gewordene historische Spur, die auf Persönlichkeiten und Werke verweist, die sich als bedeutsam für das Orchester und das Stuttgarter Musikleben erwiesen haben.
Dementsprechend sind, in der Partitur genau kenntlich gemacht, Hinweise auf Kompositionen von Niccolò Jommelli, Peter Joseph von Lindpaintner, Bernhard Molique, Carl Maria von Weber, Hector Berlioz, Ignaz Brüll, Max von Schillings, Richard Wagner, Max Reger und Hans Werner Henze in das Satzgefüge eingebettet. In ihrer Gesamtheit bilden sie eine Ereignisfolge, die manchmal sehr offen zu Tage tritt und (wie etwa durch Splitter aus Lindpaintners Sinfonia concertante im Andante-Abschnitt) den Duktus einer Passage entscheidend beeinflusst, während sie an anderen Stellen ihre Wirkung eher verdeckt (etwa vermittelt über eine spezifische Rhythmik oder Harmonik) entfaltet.
Eine weitere Eigentümlichkeit des Werks resultiert aus Thomas Strategie, die Standard-Kammerorchesterbesetzung weitgehend zu vermeiden und demgegenüber vor allem jene Sonderinstrumente einzusetzen, die bei Konzerten eher vereinzelt oder selten Verwendung finden. Neben einem Paar Hörner und Altposaune finden sich hier Piccoloflöte, Heckelfon, Bass-/Kontrabassklarinette, Kontrafagott und Cimbasso. Das solistische Streichtrio aus Viola, Violoncello und Kontrabass wird durch die beiden Zupfinstrumente Gitarre und Cembalo ergänzt, deren Letzteres zudem, wie die gleichfalls besetzten Instrumente Viola d’amore und Blockflöte, die Atmosphäre der Alten Musik heraufbeschwört. Das von zwei Ausführenden zu bedienende Schlaginstrumentarium adelt Thoma durch einen Klangerzeuger wie die Kalimba, die er vor dem finalen Teil gar mit einer kadenzierenden Überleitungspassage bedenkt.
Diese exquisite Besetzung nutzt der Komponist nicht nur zur klanglichen Akzentuierung der formalen Gestaltung, indem er nämlich charakteristische Eigenheiten der zur Einsätzigkeit verbundenen Abschnitte durch die Wahl bestimmter Farbwerte unterstreicht, sondern er arbeitet gelegentlich auch, die vorgeschriebene Aufstellung des Instrumentariums geschickt ausnutzend, räumliche Klangwechsel mit ein, was der Musik eine zusätzliche Tiefendimension verleiht.
Stefan Drees