Flamm, Christoph

Igor Strawinsky: Der Feuervogel / Petruschka / Le Sacre du printemps

Bärenreiter Werkeinführungen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2013
erschienen in: das Orchester 05/2014 , Seite 66

Sie gelten zu Recht als Meilensteine der Musik des 20. Jahrhunderts: die drei großen „russischen Ballette“ Igor Strawinskys – Der Feuervogel, Petruschka und Le Sacre du printemps. Erst im vergangenen Jahr, als man das Jubiläum der Sacre-Uraufführung vor hundert Jahren feierte, waren auf dem Tonträgermarkt zahlreiche Neu- und Wiederveröffentlichungen der epochalen Partitur zu begrüßen. In der Werkeinführungs-Reihe des Bärenreiter-Verlags ist nun eine ebenso instruktive wie handliche Studie nicht nur über den Sacre, sondern auch über die beiden Vorgängerwerke erschienen.
Selbstverständlich informiert Christoph Flamm in seinem Buch über die musikalischen Ingredienzien der Kompositionen – thematisches Material, Volkslied-Quellen, harmonische und formale Spezifika –, und nicht zuletzt auch über Strawinskys kompositorische Entwicklung zwischen diesen drei Werken. Er geht aber auch – und dieser Punkt verleiht der Arbeit ihren besonderen Wert – auf deren kulturgeschichtliche Hintergründe ein. So findet sich zu Beginn ein Abriss über die Entwicklung des russischen Balletts und die Neuerungen, die Sergej Diaghilew und seine Ballett-Compagnie Ballets Russes auf diesem Gebiet vollbracht haben, bevor Strawinsky die musikgeschichtliche Szene betrat. Des Weiteren informiert Flamm sehr anschaulich über die Entstehungsgeschichte von Strawinskys drei russischen Balletten und ihre Verwurzelung in der russischen Tradition – ein Thema, das nicht nur die Musik, sondern vor allem die Szenarien und auch Kostüme sowie Choreografien betrifft. Es zeigt sich nämlich, dass, obwohl Strawinsky diese Werke in späteren Jahren in erster Linie als absolute Musik gesehen und gehört wissen wollte, alle drei Werke ohne den Kontext des Balletts und seiner dazugehörigen Formen der bildenden Kunst nur unvollständig rezipiert und begriffen werden können.
Und auch die Erzählungen – darf man „Mythen“ sagen? –, die Strawinsky zum Kompositionsprozess und zur Zusammenarbeit mit Künstlern wie Nikolai Roerich (im Sacre) beitrug, werden einer genauen Prüfung unterzogen, wobei Flamm sich auf Standardwerke wie Richard Taruskins große Strawinsky-Monografie bezieht. Dabei bleibt Flamms Sprache bei aller fachlichen Autorität stets bildhaft und größtenteils auch für den interessierten Laien verständlich. Zahlreiche Notenbeispiele und Abbildungen beispielsweise der Originalillustrationen zu den Kostümen runden den Text ab; im Anhang finden sich zahlreiche Anmerkungen und Literaturhinweise. Und wer bei der Lektüre neugierig geworden ist, vielleicht etwas mehr erfahren will, als dies im begrenzten Raum eines Taschenbuchs möglich ist, wird zusätzlich auf die Homepage des Bärenreiter-Verlags verwiesen: Dort warten weitere Informationen zu diesem Werkkomplex, etwa die detaillierten Szenarien oder eine Zusammenstellung der vom Komponisten verwendeten Volkslieder.
Thomas Schulz