Werke von Franz Grothe, ­Michael Jary, Werner Richard Heymann und anderen

Ich tanze mit dir in den ­Himmel hinein

Tonfilmschlager; Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Ernst Theis

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 12/2022 , Seite 68

Tonfilmschlager der Nazizeit sind stigmatisiert. Ihre gute Miene zum bösen Spiel erscheint verlogen und verräterisch, die Maschinerie leichter Unterhaltung unangebracht. Dennoch gab es sie und einige der Hits von damals gibt es noch heute. Ich weiß, es wird ein Wunder geschehen oder Davon geht die Welt nicht unter, beide aus dem 1942 entstandenen Film Die große Liebe haben sich aus der düsteren Geschichte bis in die Gegenwart gerettet. Dabei hatten es die Komponisten teilweise selbst nicht leicht. Der aus Kattowitz stammende Jary, Komponist dieser beiden Evergreens, hieß eigentlich Jarczyk und erhielt seine Ausbildung u.a. bei Hindemith und Schönberg, wurde 1933 ausgebuht, sein Werk als „kulturbolschewistisches Gestammel“ bezeichnet, wie das informationsreiche Booklet der CD berichtet.
Der Begleittext wirft die Frage des einerseits „unbestrittenen künstlerischen Werts“ der Kompositionen und andererseits ihrer problematischen unterhaltenden Funktion zu Kriegs- und Mordzeiten auf und kommt bezüglich der Einspielung zu dem Ergebnis, dass die orchestralen Bearbeitungen die „gebotene historische Distanz“ ermöglichen. Das aber erscheint in den Augen des Rezensenten problematisch. Zwar steht die Güte der Kompositionen und besonders auch die vorliegende Einspielung des mit dem Repertoire sehr erfahrenen ­Orchesters außer Frage, aber natürlich muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist, solch behaftete Kompositionen aus ihrem Kontext (nicht nur dem historischen, sondern auch dem textlichen) zu lösen und sie mit wirklich ausgezeichneten Arrangements und höchster Spielkultur in die Gegenwart zu tragen, als Musik, die sich einfach genießen lässt.
Dem Konzept der vorliegenden CD haftet selbst ein merkwürdiger Widerspruch an zwischen künstlerischer Autonomie und gesellschaft­licher Funktion sowie schließlich dem Anspruch, historisch bewusst mit den Materialien umzugehen, ein Wider- und Anspruch, der sich kaum abschließend lösen lässt. Die vom Booklet eingangs gestellte Frage, ob Musik unschuldig sein kann, lässt sich nicht beantworten und sie wird auch nicht beantwortet; sie wird einfach nur gestellt. Und das ist auch, was zu leisten ist: sich der historischen Problematik der Entstehungszeit bewusst zu sein. Die Auswahl der Stücke auf der CD ist gleichermaßen gelungen wie repräsentativ. Neben den beiden bereits erwähnten Welterfolgen finden sich noch Raritäten wie ­Erwins Tango Ich küsse Ihre Hand, Madame (1929!), Bachmanns Rumba Kautschuk (1938) oder Mack­ebens Bei dir war es immer so schön (1954). Die Spielkultur von Orchester und Dirigent ist vollendet. Das aber macht es, den historischen Kontext bedenkend, fast schmerzhaft.
Vielleicht ist das Medium CD ungeeignet, um der historischen Wahrheit gerecht zu werden. Vielleicht wären andere Formate wie die Collage passender, um der Frage von Schuld und Unschuld von Musik zu begegnen. Das 20. Jahrhundert hat hierfür zahlreiche Formate entwickelt.
Steffen A. Schmidt