Martin Pensa
„Ich sehe alles in einem so neuen Lichte“
Gustav Mahlers Neunte Sinfonie
Ein sehr persönliches Buch über Gustav Mahler. Eines, dessen Inhalt zwar untersucht und beschrieben werden kann und sich auch plausibilisieren lässt, wobei „die letzten Beweise für die Argumentation“ aber fehlen würden, so der Autor Martin Pensa. Zum einen möchte er endgültig mit dem bis etwa 1920 entstandenen und seit dem Zweiten Weltkrieg gefestigten Klischee und Mythos brechen, Mahler hätte mit der Komposition seiner Neunten seinen programmatischen Abschied genommen und hätte damit eine „Meditation über die Endlichkeit“ geschaffen. Zum anderen geht er der Frage nach, warum in der Literatur kaum Notiz von der Tatsache genommen wurde, dass es thematische Bezüge zur dritten Sinfonie gibt, die anscheinend lediglich zwei Zeitgenossen Mahlers bemerkt haben wollten.
Überdies schlägt Pensa in der Überzeugung, die Neunte trüge ein Programm in sich, einen anderen Weg ein. Dies könne nur durch
„ein genaues Partitur-Studium sowie mithilfe der Kontextualisierung zu frühen Werken von Mahler und anderen Komponisten entschlüsselt werden“ (S. 14), womit der Autor – wie er selbst weiß – vor sehr schwierig zu lösenden Aufgaben analytischer und hermeneutischer Art steht, und wobei auch literarische und philosophische Fragen à la Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche einbezogen werden. Allein schon die lange Einleitung zu dieser mit einer Vielzahl von Zitaten aus Primär- und Sekundärliteratur genährten wie komplex gewordenen Thematik verdeutlicht dies.
Ausgehend von den biografisch leidvollen Geschehnissen seit dem Jahr 1907 und der „geistigen Verfassung in Toblach“ zwei Jahre darauf, die unmittelbar zur Niederschrift der Sinfonie führte, nimmt die Untersuchung ihren Lauf. Im zweiten Kapitel betrachtet der Autor zunächst detailgenau Melodik und Harmonik auch mit tiefem Blick auf Nietzsches Text „O Mensch! Gib Acht!“ Dabei kommt Pensa als Zwischenbilanz bald zum Schluss, dass es naheliegend sei, den „ersten Satz der Neunten als Paraphrasierung des vierten Satzes der dritten Sinfonie aufzufassen“ (S. 72). Später konstatiert er als weiteres Zwischenfazit in bemerkenswerter Weise sogar intertextuelle Zusam-menhänge des vierten Satzes zur zweiten Sinfonie und zum Parsifal von Richard Wagner (S. 114). Und nicht zuletzt erkennt der Autor in den Binnensätzen, in denen das
„thematisch-motivische Geflecht“ sehr dicht sei, deutlichere Zusammenhänge „zwischen den vier Sätzen, als es zunächst den Anschein macht“ (S. 129) und zählt zu Beginn des dritten Kapitels mehrere Werke Mahlers und mindestens acht ande-rer Komponisten auf, die direkt oder indirekt in Verbindung zu Mahlers Neunter stehen (S. 133).
Im letzten Abschnitt erörtert der Autor seine Einsichten und kommt zu dem Schluss, durch die ganze Sinfonie sei ein dichtes Netz an Motivbeziehungen auszumachen, „welches für den inneren Zusammenhang der Komposition verantwortlich und darüber hinaus anschlussfähig für intertextuelle Beziehungen ist“. Vier Anhänge und ein Personenregister runden das anspruchsvoll zu lesende Buch ab.
Werner Bodendorff