Lutz-Werner Hesse

Ich habe dich gewählt… Symphonische Dichtungen

Opernchor der Wuppertaler Bühnen, Amici del canto, Sinfonie- orchester Wuppertal, Ltg. Julia Jones/ Philharmonisches Orchester Bremerhaven, Ltg. Marc Niemann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Musicaphon
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 76

Diese beiden Liveeinspielun­gen mit wenigen unterdrückten Hustern, viel dramaturgischer Spannung und den großartig aufge­legten Orchestern gefällt durch Qualität und Lebendigkeit. Zumal derzeit echte Konzerte in großer Besetzung kaum auf übliche Art möglich sind, suggerieren die hier vorliegenden Aufnahmen die lang vermisste Konzertatmosphäre.
Den Anfang macht der Zyklus Ich habe dich gewählt… nach Tex­ten von Else Lasker-Schüler. Kom­ponist Lutz-Werner Hesse verwebt Spätromantik mit gemäßigter Post­moderne und lässt so jeden Satz mit schier unerschöpflicher Dramatik ertönen. Dabei wird es musikalisch nie akademisch, denn Hesses Musik ist voller Kraft und Farbigkeit, für Bühne und Publikum konzipiert. Iris Marie Sojer (Mezzosopran) meistert ihre Partie grandios und wohl artikulierend. Als strahlende Solistin schwebt sie über dem Sinfo­nieorchester Wuppertal (Ltg. Julia Jones), dem Opernchor der Wup­pertaler Bühnen und die ver­stärkenden Amici del canto.
Sprecher Thomas Braus dekla­miert zu Beginn, a cappella mit dra­matischen Pauken am Ende, ein Gedicht von Lasker-Schüler („Pro­log“). Sanft kommt der zweite Satz („Das Lied meines Lebens“) daher, dann startet mit volltönendem, kur­zen Fagottsolo der dritte Satz („Vollmond“), von Sojers Mezzosopran mit der vollen Süße der Spätroman­tik vorgetragen, assistiert von einer eleganten Oboe. Auch die Chöre dürfen wieder mit warmen Klang ihre Stimmen im nicht allzu polyfo­nen Satz ertönen lassen. Der vierte Satz („Ich liebe dich“) startet mit Sechzehntelketten, die nie ganz ver­schwinden. Blech und Orgel sorgen in den letzten Takten für recht auf­geregtes, aber positives Treiben.
Durch frisch klingende Bläser­akkorde von allzu großer Süßlich­keit befreit, starten Mezzosopran und Chor nach spätromantischer Einleitung der Streicher in den sanft dahin fließenden Satz „Ich habe dich gewählt…“, dem ein „Tanz­lied“ folgt. Hier spielt Hesse mit der Dramatik einer großen, sehr unter­haltsamen Filmmusik. Ein Eng­lischhorn-Solo beginnt den siebten Satz („Gebet“), Mezzosopran und Chöre setzen die schlichte Melodik der Vertonung anschließend sehr gut um. Der „Epilog“ beendet mit großen Akkordblöcken und mäch­tiger Dynamik (und ruhigem, lan­gen Mittelteil) den Zyklus.
Bunte Klangmalerei, weniger Süße und einige Ecken weist Infinite Landscape. Two orchestral pictures op. 44 auf. Live eingespielt vom Philharmonischen Orchester Bremerhaven (Ltg. Marc Niemann) bohrt sich vor allem der zweite, weitaus kürzere Satz (Vivace) mit galoppierender Rhythmik und hüb­schen melodischen Partikeln auf angenehme Art ins Ohr. Der länge­re erste Satz (Lento solenne, miste­rioso) spielt mit Klängen und melo­diösen Einfällen, unterhält auf fri­sche Art und zeigt, wie bunt die vir­tuose Klangpalette des Komponis­ten Hesse ist.
Heike Eickhoff