Saskia Zimmermann, Matthias Herrmann (Hg.)
Ich bin ein Theatermensch
Udo Zimmermann – Erinnerungen und Dokumente
Udo Zimmermann, der Grübler und Visionär: Die von seiner Witwe und einem langjährigen Kollegen edierte Sammlung vereint Aufsätze, Erinnerungssplitter, Hommagen und Bilder von den Jahren als Kruzianer über die Erfolge der großen Musiktheater- und Orchesterwerke bis zu Leitungstätigkeiten, in denen Udo Zimmermann maßgebliche Impulse setzte und plante. Man sollte das Nachwort des mit ihm über Jahrzehnte beruflich vertrauten Matthias Herrmann über den 2021 im Alter von 78 Jahren gestorbenen Komponisten und Intendanten zuerst lesen. Herrmann liefert eine künstlerisch-soziale Entwicklungsbiografie, die neben dessen musikalisch-ästhetischer Prägung im Dresdner Kreuzchor auch Zimmermanns Beitritt zur SED beleuchtet. Vor allem aber würdigt Herrmann sachlich und mit differenziert hoher Wertschätzung die in den letzten Jahren der DDR und den ersten Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung maßgeblichen künstlerischen Leitungen Zimmermanns: an der Oper Bonn, der Oper Leipzig (bis heute nicht wieder erreichte Glanzzeit), der Deutschen Oper Berlin (unschönes Ende) und der musica viva des Bayerischen Rundfunks München. Ein Kontinuum war neben diesen Karriere-Leuchttürmen das von Zimmermann 1986 gegründete Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik (heute Europäisches Zentrum der Künste Hellerau). Der Band verdeutlicht, wie unterschiedlich in den beiden deutschen Systemen die Erwartungen an eine maßgebliche Persönlichkeit waren. Es entsteht das Porträt eines differenziert denkenden Kulturschaffenden, der seine Leitungsaufgaben mit immensem Anspruch und deshalb großem Zuspruch erfüllte.
Leider erhält auch hier die in über 250 Inszenierungen gezeigte Oper Weiße Rose höhere Aufmerksamkeit als andere ebenso bedeutende, aber seit Zimmermanns langer Schaffenspause um den Jahrtausendwechsel vernachlässigte Kompositionen – trotz des einleuchtenden Plädoyers durch den Hofer Operndirektor und Intendanten Lothar Krause für Zimmermanns erste Vertonung aus dem Jahr 1967/68. Sehr lesenswert ist der Aufsatz von Wolfgang Willaschek. Es bleibt persönliche Ansichtssache, inwiefern die Beschreibung Zimmermanns durch seinen Freund und Arzt Werner Felber mit präzisen Details zur psychosomatischen Diagnostik die Grenzen des Anspruchs auf Privatheit überschreitet. Als Quintessenz entsteht das umfassende Porträt einer intellektuellen Persönlichkeit mit immens hohen Ansprüchen, die Zimmermann auch an andere stellte. Dass er sich nie sicher, schon gar nicht selbstsicher fühlte und bis zu seinem gesundheitlichen Verlöschen selbstquälerisch in Frage stellte, wird deutlich. Bei einem Interview für den Spiegel sagte Zimmermann 1996: „Man darf die Latte nie zu tief legen. Mir ist es immer noch lieber, auf die Nase zu fallen, als den sicheren Sprung zu wagen.“
Roland Dippel