César Franck

Hulda

Meagan Miller (Sopran), Joshua Kohl (Tenor), Irina Jae-Eun Park (Sopran), Anja Jung (Contralto), Katerina Hebelková (Mezzosopran), Jin Seok Lee (Bass), Chor des Theaters Freiburg, Philharmonisches Orchester Freiburg, Ltg. Fabrice Bollon

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Naxos
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 75

Hulda ist entwurzelt und ihr Lebensinhalt die Rache – von der Erniedrigung bis zum Sturz ins Meer. Sie singt in einer Tessitura zwischen Mezzo und Sopran, so konzentriert und so pastos wie Cassandre und Didon in Berlioz’ Les Troyens oder Faurés Pénélope. Und dieses Fach liegt der leuchtkräftigen wie in ihrer Diktion sorgfältigen Meagan Miller weitaus besser als die dramatischen Partien Puccinis und Wagners. Das zeigt sie in der für die Einspielung nach der szenischen Vorstellungsserie von Morenike Fadayomi übernommenen Titelpartie.
César Franck und sein Textdichter Charles Grandmougin verlegten die Handlung des Schauspiels Halte-Hulda (1858) von Bjørnstjerne Bjørnsons aus dem 14. ins 11. Jahrhundert, um mit der Christianisierung Skandinaviens eine weitere archaisierende Handlungsebene zu gewinnen. Zehn Jahre nach seiner Entstehung kam das höchst individuelle Opus 1894 in Monte Carlo heraus. Meist gelangte es als Dreiakter mit Prolog und Epilog zur Aufführung – bei dieser Produktion, in die bislang unbekanntes Material einfloss, sind es fünf Akte. Zur konzertanten Aufführungsserie in Belgien und Frankreich durch die Stiftung Palazzetto Bru Zane zu Francks 200. Geburtstag im Frühjahr 2022 wurde schon wieder einiges anders.
Fabrice Bollon hat mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg allerspätestens mit den vier Sinfonien Albéric Magnards seine hohe Affinität für das gallische Repertoire bewiesen. Die Hulda-CD gerät nun zum Fest, in dem sich Stimmen und Instrumente opulent und subtil verbinden. Diese Musik hat einen farbenreich schillernden wie dramatischen Sog. Franck gelang weitaus mehr als ein den Zeitgeist bedienendes Musikdrama. Stellenweise blitzen wagnernahe Harmonie-Souvenirs auf, weitaus bedeutendere Inspiratoren sind aber Meyerbeer und die französischen Opern Verdis. Nur gewährt Franck der unversöhnlich harten Hulda viel mehr Lyrik als Verdi seiner Lady Macbeth oder Prinzessin Eboli.
Das Theater Freiburg hat neben dem hervorragenden Chor (Einstudierung: Norbert Kleinschmidt) ein passioniertes Ensemble. Es gehörte wohl zum Anspruch französischer historischer Opern in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, dass von den Protagonistinnen als Rächer und Liebhaber instrumentalisierte Männer musikalisch besonders reich bedacht wurden. Das ist bei Franck nicht anders. Der Tenor Joshua Kohl liefert neben Meagan Miller autonome und betörend starke Auftritte. Bollon gibt dem ganzen Ensemble – darunter Irina Jae-Eun Park, Anja Jung, Katerina Hebelková, Juan Orozco – ein souveränes Glänzen.
Hulda ist musikalisch und dramatisch ein großer Wurf mit einem mitreißenden akustischen Panorama. Dieses Klangspektakel offenbart mindestens so bezwingende Wirkungen wie Francks weitaus bekanntere Oratorien Les Béatitudes und Rédemption.
Roland Dippel