Werke von Zoltán Kodály, Béla Bartók, Antonín Dvořák und anderen

Homelands Vol. 1

Marie Vermeulin (Klavier), Ensemble Cythera, Ltg. Mihály Zeke

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Paraty 140100
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 84

Vor fünfzig Jahren machte eine Schallplattenbox Chor-Furore: Europäische Chormusik aus fünf Jahrhunderten, gesungen vom Rundfunkchor bzw. Kammerchor Stockholm unter Leitung von Eric Ericson. Namentlich in Deutschland befeuerte sie die Kammerchorszene. Musik aus Ungarn, Italien, Frankreich und England gerieten ins Blickfeld. An diese begeisternde Chor-Internationale erinnert das Projekt des Ensemble Cythera. Es soll fünf CDs umfassen; die erste richtet den Blick nach Ost-Mitteleuropa. Zoltán Kodály ist natürlich dabei mit den Bildern aus der Matra-Region, Bartók mit ungarischen (Sz 93) und slowakischen (Sz 70) Volksliedern, Antonín Dvořák mit sechs Mährischen Duetten, die Leoš Janáček für vierstimmigen Chor eingerichtet hat.
Den habsburgischen Raum, wenn man so will, vervollständigen die wiennahen Komponisten Arnold Schönberg und Johannes Brahms. Schönberg hatte kurz vor seinem Tod einige (nicht zwölftönige!) Volksliedvertonungen für Chor arrangiert (op. 49), und Brahms verstand wie kaum ein anderer Allround-Komponist, sich im (deutschen) Volkston auszudrücken. Zwei Volkslieder aus seinen Sammlungen gehen hier dem Quartett „An die Heimat“ aus op. 64 voraus, das dem ganzen Projekt wohl auch seinen englischen Namen gab, während „Heimat“ und „Volkslied“ in manchen deutschen Ohren leider ziemlich toxisch klingen.
Unberührt davon macht das Singen in mehreren Sprachen den 24 Sängerinnen und Sängern im Ensemble Cythera hörbar Spaß; sie kommen, den Namen nach zu schließen, aus mehreren europäischen Ländern zusammen und setzen seit zwei Jahren die Tradition von Arsys Bourgogne fort. Dieser Chor verstand sich unter seinem Gründer Pierre Cao als eine Art Speerspitze der freiberuflichen Chorkultur in Frankreich, war außerhalb der Grenzen jedoch weniger bekannt.
Einen multinationalen Lebenslauf hat auch Cythera-Gründer Mihály Zeke aufzuweisen, freilich mit deutlichem Ausbildungs- und Wirkungsschwerpunkt in der deutschen Chormetropole Stuttgart sowie beim (Chor-)Dirigentenforum des Deutschen Musikrats.
Der Chor singt – unterhalb des Soprans – gänzlich vibratofrei. Das klingt bisweilen betörend klar und frisch; allerdings lauern, namentlich bei den Bartók-Stücken, gefährliche Intonationsklippen, die zu umschiffen hörbare Arbeit macht und Spuren hinterlässt. Auf Dauer wünscht man sich mehr Schattierungen, dynamische Breite und Beweglichkeit im Chorklang; gerade Johannes Brahms lässt keinen Takt ohne Anweisungen zu Dynamik, Artikulation und Phrasierung, An- und Abschwellen, langem und kurzem Atem, Sprachakzenten, rhythmischem Schwung, Espressivo – Kunstfertigkeiten, die scheinbar einfache Chormusik raffiniert würzen und Interpreten vor dankbare Aufgaben stellen. Ein weniger trockener Aufnahmeraum (Abtei Marienmünster, NRW) hätte vielleicht Hilfestellung leisten können, ähnlich wie die Klavierbegleitung (Marie Vermeulin auf einem historischen Steinway) im Brahms’schen Heimat-Quartett den Klang zum Abschluss aufs Schönste entspannt.
Andreas Bomba