Silvia Bier/Tobias Reichard/Daniel Reupke/ Anno Mungen (Hg.)

Hitler. Macht. Oper.

Propaganda und Musiktheater in Nürnberg 1920-1950

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Königshausen & Neumann, Würzburg 2020
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 71

Die Vereinnahmung und Reglementierung (oder auch nur Versuche dazu) von Kultur im Allgemeinen und Musik und Theater im Besonderen für politische Zwecke hat es schon immer gegeben und es gibt sie bis heute. Perfektioniert jedoch wurde die Propagandisierung von Kunst durch die Nationalsozialisten. Von 2016 bis 2019 hat sich das Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth in Kooperation mit dem Staatstheater Nürnberg und dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände mit der Frage befasst, wie im „Dritten Reich“ Politik zu Theater und Theater zu Politik wurde.
Die Buchpublikation präsentiert Ergebnisse eines Forschungsprojekts (2016-2019) und zweier internationaler Tagungen. Die Herausgeber haben fünf große thematische Abschnitte gewählt: Ästhetik und Propaganda, Inszenierung und Propaganda, Akteure und Propaganda, Raum und Propaganda sowie Musiktheater und Nationalsozialismus ausstellen. Im ersten Kapitel geht es vor allem darum zu zeigen, wie Adolf Hitlers persönliche Kunstbegeisterung auch die nationalsozialistische Kulturpolitik maßgeblich beeinflusste und warum Richard Wagner, die Meistersinger und die Stadt Nürnberg zu zentralen Elementen derselben wurden. Das zweite Kapitel beschreibt , wie eng Theater (vor allem das in Nürnberg) und politische Inszenierung zusammenhingen und wie es zu einer „Politisierung des Ästhetischen“ kam. Von Ausnahmen abgesehen, ist interessant zu verfolgen, dass das Musikertheaterrepertoire (nicht nur in Nürnberg) nach 1933 natürlich den kulturpolitischen Erwartungen der Machthaber angepasst wurde, sich allerdings politische Propaganda nicht sichtbar auf der Bühne, sondern eher perfide subkutan abspielte. In diesem Sinn wird bei der Bühnenbildästhetik „eine Welt gebauten Deutschtums“ beschrieben und mit Fotos und Bühnenbildentwürfen eindrücklich dokumentiert. Die Festwiesen-Dekoration vieler Meistersinger-Inszenierungen nach 1933 erinnert nicht zufällig an mit Hakenkreuzfahnen flankierte Aufmarschstraßen und -plätze.
Das dritte Kapitel beschreibt u. a. am Beispiel des Nürnberger Verwaltungsdirektors Georg Ulherr die Rolle von maßgeblichen Theaterakteuren vor, während und nach der Zeit des Nationalsozialismus („Ein Leben fürs Theater“). Weitere Beiträge befassen sich mit Hitler und seinen favorisierten Bühnenbildnern oder mit der Ideologisierung des NS-Frauenbildes am Beispiel der Nürnberger Inszenierung von Strauss’ Frau ohne Schatten von 1938. Die Inszenierung von Nürnberg als Stadt der Meistersinger und der Reichsparteitage eröffnet das vierte Kapitel, in dem es vor allem um Theaterarchitektur geht, den Einbau von „Führerlogen“ in mehreren deutschen Theatern eingeschlossen. Das fünfte Kapitel gibt Erläuterungen zu der mit dem Buch gleichnamigen Sonderausstellung in Nürnberg (2018/19).
Wer sich für die Geschichte des Musiktheaters im Nationalsozialismus interessiert, kommt an diesem sehr lesenswerten, akribisch zusammengestellten Buch nicht vorbei.
Gerald Mertens