Werke von Vladimir Dyck, ­Constantin von Sternberg und Sergey Youferov

History of the Russian Piano Trio, Vol 5.

The Brahms Trio

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naxos
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 77

Das Brahms-Trio aus Russland mit Nikolai Sachenko (Violine), ­Kirill Rodin (Cello) und Natalia ­Rubinstein (Klavier) hat zu einem ideal ausgewogenen Tutti-Klang ­gefunden, der auch spieltechnisch im engeren Sinne keine Wünsche offen lässt. Solche Eigenschaften finden sich selbst unter namhaften Klaviertrio-Formationen eher selten. Zudem vermag das Ensemble wirklich kammermusikalisch zu musizieren, d. h. das Ensemblespiel intim der differenzierten Anlage des musikalischen Satzes anzuschmiegen und ihm zu folgen. Das Trio op. 25 (1910) von Vladimir Dyck (1882 – 1943) etwa trägt – mit aller an Brahms gemahnenden Melancholie – einen wuchtig-dramatischen Impetus, der eben nicht nur vom notorisch tonreichen Klavierpart getragen und ausgespielt wird, sondern den immer auch die beiden Streicher nuancieren und individualisieren: weniger durch Lautstärke oder Kraft als vielmehr durch Intensität und melodischen Nachdruck. Auf diese Weise wird die Musik nicht nur gegliedert und strukturiert, sondern auch ausdrucksvoll belebt.
Mit solchen Einspielungen verhilft das Brahms-Trio den Werken von Komponisten zu eindringlichen, sehr überzeugenden Wirkungen, die so gut wie vergessen sind. Und zudem informiert die Pianistin in Begleittexten dankenswerterweise auch über den Lebenslauf dieser Komponisten. Dyck, der in Odessa geboren wurde, ließ sich 1919 in Paris nieder, nahm die französische Staatsbürgerschaft an und wirkte erfolgreich als Komponist von Sinfonien, Opern oder Filmmusiken in Frankreich. Sein Nachlass gilt als verschollen, seit er am 30. Juli 1943 von der Gestapo in Paris verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Das 3. Klaviertrio op. 104 (1912) von Constantin von Sternberg greift eher auf Schumann und Mendelssohn zurück und gibt sich aufgelockert und im Vergleich zu Dyck geradezu entspannt-leichtgewichtig. Sternberg, 1852 in St. Peterburg geboren, verschlug es in die USA. Er wirkte als Pianist, Pädagoge, Editor und Komponist erfolgreich in Philadelphia, wo er 1924 verstarb. Und Sergey Youferov, 1865 gleichfalls in Odessa in eine wohlhabende Familie geboren, dessen Lebensspuren sich nach 1917 verlieren (er soll dann entweder in der Schweiz oder in Paris gelebt haben), machte sich als Pianist, Dirigent und Komponist in Russland einen Namen. Sein Trio op. 52 (1911) weist ihn als einen sehr versierten Komponisten aus, der sein Handwerk nun wirklich makellos beherrschte, sodass man sich wünschte, weitere Musik, die sich in Bibliotheken erhalten hat, von ihm kennenzulernen.
Gewiss repräsentieren diese Trios keine „typisch“ russische Musik (was immer das sei); aber sie demonstrieren eindringlich das sehr hohe Niveau von Kammermusik aus dem vorrevolutionären Russland.
Giselher Schubert