Beier, Brigitte / Karina Schmidt
Hier spielt die Musik!
Tonangebende Frauen in der Klassikszene
In diesem Band, der Porträts von 21 Musikerinnen versammelt, trifft man teilweise auf alte Bekannte aus ähnlichen Publikationen wie Sofia Gubaidulina, Sabine Meyer, Elisabeth Leonskaja oder Anne-Sophie Mutter, an deren Beispiel man studieren kann, wie vorgefertigte Selbstinszenierungen den Leserinnen und Lesern marktgerecht serviert werden. Ungleich spannender, lebendiger und aufschlussreicher sind die Porträts von anderen, oft nicht weniger profilierten Musikerinnen. Sie empfinden offenbar nicht den Druck, sich als trend-konform und perfekt zu präsentieren. So erfahren wir von Rumi Ogawa, Schlagzeugerin des Ensemble Modern, dass es für sie in Japan überhaupt keine Option war, Musikerin zu werden und dass sie erst nach verschiedenen Suchbewegungen wieder in die Musik hineingezogen wurde. Die Piccolo-Virtuosin Gudrun Hinze (Gewandhausorchester Leipzig) ist aus Versehen zu ihrem Instrument gekommen. Maja Helmes (hr-Sinfonieorchester) tauschte die von der Mutter gewünschte Geige aus Trotz gegen die Trompete: Geige war so gar nicht mein Ding. Es gab elf Jungs in unserer Straße, und da war es total peinlich zu sagen: Ich muss jetzt rein und Geige üben. Und wenn die Gambistin Hille Perl von der Freiheit des Ensemblespiels in der Alten Musik spricht, hat sie auch die persönliche Freiheit zu sagen: Absolute Perfektion ist hier nicht die Ultima Ratio. Und wenn da mal was gegen die Wand fährt, sagen wir: Gott sei Dank, es ist ja nur Musik! Was haben wir für ein Glück, dass wir keine Busfahrer sind!
Dass die Autorinnen keine Berufsmusikerinnen sind, prägt das Buch: Sie fragen nach Dingen, die für Insider oft selbstverständlich sind, anderen aber jene Menschen nahe bringen, welche sie im Konzertsaal oder auf Tonträgern nur aus der Distanz erleben. Thematisiert werden Besonderheiten der verschiedenen Musikszenen, Programmgestaltung, musikalische Vorlieben, Diskussions- und Entscheidungsprozesse in Streichquartetten, Fragen nach Basisdemokratie in größeren Ensembles, Situation der Frauen im Orchester, Probespiele, Vereinbarung von Familie und Beruf, Hobbys, Kinder und auch Enkel. Und dies in einer im guten Sinn unterhaltsamen Weise.
Sind Frauen tatsächlich in Teilen der Klassikszene inzwischen so tonangebend, dass sie sich dem Marktgeschehen nicht mehr bruchlos einpassen müssen? Die Bebilderung des Buchs zeigt wieder einmal entblößte Schultern, frischgefönte Haare, Plastikgesichter und sexualisierte Körper aber auch die lustigen Fotos der Kontrabassistinnen Katharina von Held und Franziska Kober, die haltlos lachende Rumi Ogawa und das Suchbild von Maja Helmes im Orchester links neben der Tuba. Witzig auch das Bild des Leipziger Flötenensembles Quintessenz: Die vier Musikerinnen stehen unverkrampft hinten, vor ihnen lagert der einzige Mann ebenfalls voll bekleidet in der Pose der nackten Maja.
Freia Hoffmann