Schöttle, Rupert

Hier klingt Wien

Die musikalische Seite der Donau-Metropole

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Gmeiner, Meßkirch 2016
erschienen in: das Orchester 09/2016 , Seite 56

Musikalisch Urlaub machen, das ist in Wien sicherlich am ehesten zu verwirklichen, und so ist es erfreulich, dass der Gmeiner-Verlag jetzt ein entsprechendes Reiselesebuch herausbringt. Autor Rupert Schöttle besitzt die besten Voraussetzungen, um ein solches Buch über Wien zu verfassen, Distanz und Nä­he zugleich: Er ist nicht in Wien geboren, sogar Nicht-Österreicher, dennoch seit Jahrzehnten dort zuhause und als Orchestermusiker und Romanautor in der Lage, die wichtigsten Stätten des Musizierens in der Musikhauptstadt Wien einer interessierten Leserschaft nahezubringen.
Dabei stehen in diesem handlichen und optisch ansprechend gestalteten Band 33 Aufführungsorte des Wiener Musiklebens sortiert nach den ernsten und unterhaltsamen Gattungen des Musiktheaters, der Orchestermusik und der populären Musik, so wie sie sich gegenwärtig präsentieren, im Mittelpunkt der Betrachtung. Staatsoper, Musikverein, Ronacher und die Kirchen sind natürlich ebenso dabei wie das MuseumsQuartier, das Arnold-Schönberg-Center oder der Gasometer in Simmering. Der kulturinteressierte Besucher wird in jedem Fall zur sachkundigen Auswahl anregt, zusätzlich unterstützt durch eindrucksvolle, häufig doppelseitig abgedruckte Fotos und bearbeitetes Kartenmaterial. Das Orts- und Personenregister hilft ebenfalls bei der schnellen Orientierung, enthält zahlreiche Personennamen, jedoch keinen einzigen Ort, was den Leser stutzen lässt.
Der musikhistorischen Bedeutung Wiens entsprechend nimmt die abendländische Kunstmusik den weit überwiegenden Teil der Darstellung ein, aber auch die großen Pop-Arenen, Jazz-Lokale und Clubs, in denen berühmte DJs auflegen, finden Berücksichtigung. Außereuropäische Kunstmusik, Cross-over und Performance-Kunst sucht man jedoch vergeblich, obgleich beispielsweise im Mumok, dem Tanzquartier Wien oder dem Performance Art Network mit dem Aufführungsort ehemalige Stollwerck Schokoladenfabrik interessante Anlaufstellen für Avantgarde-Liebhaber existieren. Hier bleibt der Autor bedauerlicherweise dann doch eher am Mainstream orientiert.
Sorgfältig recherchiert werden Geschichte und Gegenwart jedes Schauplatzes in einer Weise nahegebracht, dass man sofort die Koffer packen möchte. Das liegt auch an der Mischung von nüchterner Faktenvermittlung mit plastischen, häufig subjektiv-ironischen Beschreibungen und eingestreuten Anekdoten, die dem Band insgesamt ein Vintage-Feeling verleihen, das der Stadt sowieso anhaftet, hier aber bisweilen arg klischeehaft bedient wird. Dass der Wahl des Staatsoperndirektors eine größere Bedeutung beigemessen wird als der des Bundeskanzlers, muss angesichts der gegenwärtigen politischen Turbulenzen in der österreichischen Innenpolitik eine Beobachtung aus der sprichwörtlichen guten alten Zeit sein.
Insgesamt aber ein gut lesbarer, auch unterhaltsamer Spezialreiseführer, zur Planung und zum Sich-Erinnern bestens geeignet.
Karim Hassan