Pelster, Philipp

Hermann Grabner

Pädagoge, Musiktheoretiker und Komponist

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Dohr, Köln 2015
erschienen in: das Orchester 10/2015 , Seite 63

Weder im Konzertsaal noch auf dem CD-Markt spielt er eine Rolle – der 1886 in Graz geborene Komponist Hermann Grabner. Und das, obwohl er ein breites Œuvre hinterlassen hat, das sich von der Kammermusik über große Orchesterwerke, Orgelmusik, Vokalwerke bis hin zur Oper erstreckt. Zudem ist er Verfasser zahlreicher Werke zur Musiktheorie; seine Allgemeine Musiklehre erzielte weit über zwanzig Auflagen.
In einer breit angelegten, sehr detaillierten Studie, die auch ein komplettes Werkverzeichnis enthält, widmet sich Philipp Pelster diesem Komponisten. Dabei stehen vor allem Werkanalysen im Mittelpunkt. Pelster arbeitet dabei drei unterschiedliche Stile im Musikschaffen Grabners heraus, die in engem Zusammenhang mit seinem Lebenslauf stehen. Zu Beginn der 1920er Jahre setzt der Reger-Schüler Grabner auf eine „radikale lineare Polyphonie“, die ihn zeitweise fast in Grenzregionen des Atonalen führt. In diesem Zusammenhang führt Pelster ausführliche Analysen zum Oratorium Die Heilandsklage und zur Oper Der Richter durch.
Einen geradezu radikalen Wandel vollzieht Grabner in den 1930er Jahren. Mit seinen Fackelträger-Liedern und der Chor-Feier Segen der Erde bedient er nun einen volkstümlichen, diatonischen Stil, der zudem nur moderate Anforderungen an die Interpreten stellt. Zufall ist dieser Stilbruch nicht: Seit 1938 ist Grabner Nachfolger von Paul Hindemith an der Akademischen Hochschule für Musik in Berlin und passt sich den neuen politischen Verhältnissen an. So sehr, dass er sogar seine theoretischen Werke umarbeitet und jüdische Komponistennamen daraus tilgt. Der Erfolg, den Grabner in dieser Zeit hat, zeigt sich allein daran, dass die Nazis ihn als einen in der „ersten Reihe stehenden musikschaffenden Künstler“ feiern. Nach dem Krieg wird Grabner zeitweise die Lehrerlaubnis entzogen, seine Werke kommen praktisch nicht mehr zur Aufführung.
Wie wenig Grabner, der zudem promovierter Jurist war, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen konnte, zeigen seine Schreiben in Zusammenhang mit dem sogenannten Entnazifizierungsverfahren. Grabners Verbitterung in den letzten Lebensjahren – seine Frau begeht Suizid – mag zur Komposition des Requiem geführt haben, das – nunmehr die dritte Stilwende – hohe technische Ansprüche an die Interpreten stellt und mit harten Zusammenklängen der Stimmen arbeitet. Gleichwohl hat Grabner nie Zugang zur Musik der Neuen Wiener Schule gefunden. Schönbergs Musik galt ihm als „musikalische Stotterei“. 1969 stirbt Grabner 83-jährig in Bozen.
Pelsters sehr gediegen-sachliche, einprägsame Studie macht deutlich, wie stark die Anpassung eines Künstlers an jeweilige politische Verhältnisse seine Kreativität korrumpieren kann.
Winfried Rösler

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