Werke von Edison Denisov, Claude Debussy, Dimitrij Schostakowitsch und anderen
Heritage
Fedor Rudin (Violine), Boris Kus- nezow (Klavier)
Heritage ist eine Hommage an den russischen Komponisten Edison Denisov (1929-1996), zusammengestellt und gespielt von dem 1992 in Moskau als Enkel Denisovs geborenen französisch-russischen Geiger Fedor Rudin. Der 2019 in Paris mit dem Ivry-Gitlis-Preis ausgezeichnete, bei Zakhar Bron und Pierre Amoyal ausgebildete Musiker wird am Klavier unterstützt von dem 1985 ebenfalls in Moskau geborenen Boris Kusnezow, einem Schüler von Bernd Goetzke.
Edison Denisov, 1929 in Sibirien geboren, Mathematiker und Komponist, wurde zwar Dozent für Instrumentation und Partiturkunde am Moskauer Konservatorium, erhielt aber im Sowjetsystem wegen seiner avantgardistischen Ausrichtung niemals eine Kompositionsprofessur. Ähnlich wie seine Mitstreiter:innen Alfred Schnittke und Sofia Gubaidulina wählte er in späten Jahren den Weg ins westeuropäische Exil, in seinem Falle nach Paris.
Drei Originalwerke für Violine und Klavier von Denisov sind auf der CD vertreten: an erster Stelle die dreisätzige atonale Sonate von 1963, die, ähnlich wie die 1970 entstandene Saxofonsonate, zu seinen wichtigen Kammermusikwerken gerechnet werden kann. Ein Kopfsatz mit schroffem akkordischen Gegeneinander beider Instrumente, ein Largo, das Vereinsamungsgesten bis hin zur Unhörbarkeit auslotet, ein Finale mit engmaschig kanonisch einsetzenden Repetitionsmotiven als komplexer rhythmischer Herausforderung – Aufgaben, denen sich das Duo Rudin/Kusnezow mit großem Ernst und souveräner Genauigkeit widmet.
Erstaunlich konventionell und tonal wirken demgegenüber Denisovs hier wohl erstmals eingespielten drei Konzertstücke von 1958 und die aphoristische Sonatine von 1972. Eine Repertoire-Neuheit ist auch Rudins Bearbeitung von Prélude und Duo-Szene aus Rodrigue et Chimène, einer unvollendeten Oper von Claude Debussy, die Denisov 1993 orchestral ergänzt hatte. Hierbei kommt interpretatorisch leider relativ wenig französisches Flair rüber, was hauptsächlich dem recht statisch bearbeiteten, aber auch gespielten Klaviersatz zuzurechnen ist.
Mit einem unvollendeten Sonatensatz von Dimitrij Schostakowitsch aus dem Jahre 1945 und der f-Moll-Sonate von Sergei Prokofjew von 1946 wird die CD um zwei Komponisten ergänzt, deren Schaffen Denisov in seinen späten Jahren äußerst kritisch sah. Bei Prokofjew überrascht dort, wo im ersten und im letzten Satz der „Wind über den Gräbern“ wehen müsste – mit con sordino zu spielenden blitzschnellen Violinfiguren zu statisch-abweisender Klavierakkordik – ein selbstsicherer, fast tröstender Gestus, der Prokofjews Intention völliger Verlorenheit nicht entsprechen dürfte.
Die Aufnahmetechnik stellt in unerfindlicher Einseitigkeit den Klavierklang permanent zuungunsten des violinistischen Geschehens in den Vordergrund – eine bedauerliche Einschränkung bei einer Veröffentlichung mit vielen wertvollen Repertoire-Neuheiten.
Rainer Klaas