Udo Köhne
Herford: Das Schicksal siegt
Erfolgreiches Stiftungskonzert der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford
Regelmäßig die Unterstützer des Orchesters angemessen feiern: Das leistet sich die Nordwestdeutsche Philharmonie seit vielen Jahren. 20 Jahre besteht im Ostwestfälischen jetzt die „GemeinschaftsStiftung Nordwestdeutsche Philharmonie“, die in dieser Zeit mit insgesamt 1,5 Millionen Euro dem Orchester unter die Arme griff. Instrumente wurden angeschafft, die Kinder- und Jugendkonzerte unterstützt, Tourneen mitfinanziert und in der Coronazeit CD-Produktionen ermöglicht. Die Stiftung leistet einen insgesamt gesehen kleinen, aber kulturpolitisch betrachtet wichtigen Beitrag zur Absicherung und damit zum Bestand dieses NRW-Landesorchesters. Einmal pro Spielzeit schenkt die „Nordwestdeutsche“ deshalb im Gegenzug ihren Stiftern ein Konzert. Dieses Jahr wurde das musikalische Präsent zu Saisonbeginn überreicht. Starke Nachfrage und volles Haus auch jetzt. Nichts zu spüren von dem andernorts registrierten postcoronalen Zuschauerschwund.
In einem Grußwort betonte der Herforder Bürgermeister und Vorsitzende des NWD-Trägervereins, Tim Kähler, die Wichtigkeit von Kultur und versprach zudem, den in Herford viel diskutierten Neubau einer geeigneten Spielstätte für die Nordwestdeutsche Philharmonie weiter voranzutreiben. Intendant Andreas Kuntze ging in seinem Grußwort ebenfalls auf die Bedeutung der Stiftung ein und lobte diese Form entschiedenen Engagements für die heimische Kultur.
Diesmaliger Austragungsort des Stiftungskonzerts war der Sitz des Orchesters im Stadtpark Schützenhof in Herford; Chefdirigent Jonathon Heyward trat höchstpersönlich ans Pult. Auf dem Programm ein kurzes Stück des amerikanischen Komponisten Carlos Simon und die Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 von Ludwig van Beethoven. Fate Now Conquers des 1986 geborenen Amerikaners Carlos Simon erlebte bei dieser Gelegenheit seine deutsche Erstaufführung. Ein energisches und rhythmisch aufregendes Werk liegt hier vor, das seine Namensgebung einer Äußerung Ludwig van Beethovens verdankt. Vor allem aber ist Fate Now Conquers eine spektakuläre und publikumswirksame Komposition. Gewaltige rhythmische Energien werden freigesetzt, und auch das klangsinnliche Element kommt zu seinem Recht. Ein amerikanischer Komponist auf der Suche nach der eigenen Klangsprache: Dieses stilistisch gesehen gerade einmal vorsichtig moderne Werk wird den Namen des Komponisten Carlos Simon trotzdem in die europäische Welt tragen! Die Nordwestdeutsche Philharmonie unter der Leitung ihres jungdynamischen Chefdirigenten Heyward spielte mit Wucht und rhythmischer Präzision und holte das Optimum aus Simons Fünf-Minuten-Opus heraus.
Dieser die Hörer:innen anspringenden Einleitung ein Werk Beethovens folgen zu lassen, ist geradezu ein Muss. Die NWD hatte sich für die stets festtagstaugliche Eroica entschieden, Beethovens „Dritte“. Jonathon Heyward ließ sie mit viel Eleganz spielen, erzeugte einen lang anhaltenden sinfonischen Strom, erfreute sich an der Schönheit der Tongebung, die ihm „sein“ Orchester anbot. Heyward kehrte nicht die wüsten und aufrührerischen Momente der Beethoven-Komposition hervor, sondern rückte mit seiner Interpretation die Verdeutlichung des sinfonischen Prozesses in den Vordergrund.
Dadurch erhielt der Kopfsatz der „Eroica“ gewaltigen Vorwärtsdrang: nicht ein um jeden Preis hektisches Musizieren fand statt, sondern ein kontrolliertes Betrachten der musikalischen Entwicklungen. Ohne übertrieben depressive Gesten dann der berühmte Trauermarsch, der in einigen Augenblicken sogar etwas Versöhnliches und Tröstliches in sich trug. Keine große Trauermusik wurde inszeniert, kein programmatisches Feuer entzündet. Ein Beschränken auf das im Notentext Niedergelegte war zu erleben: richtig so. Temporeich das Scherzo, das die Streicher der Nordwestdeutschen Philharmonie in guter Form zeigte. Im Trio dann zeichnete sich die Horngruppe mit exzellentem Spiel aus. Der Finalsatz schließlich lebte von der hohen orchestralen Qualität, ebenso vom fein ausgeloteten Beethoven-Ton, der hier gefunden wurde. Jonathon Heyward, designierter Chefdirigent des Baltimore Symphony Orchestra, dirigierte Beethoven ohne Stab, mit zuweilen kleinen Gesten, trotzdem schöner Wirkung.
Im Saisonverlauf wird sich der „Chef“ noch Gustav Mahlers sechster Sinfonie widmen, einem Werk, das im Ostwestfälischen lange nicht zu hören war. Überdies wird Heyward die erste und die neunte Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch dirigieren und damit seiner Liebe zu diesem Komponisten Ausdruck verleihen. Große Sinfonik steht im Dezember auf dem Programm der „Nordwestdeutschen“, wenn die Sinfonie
Nr. 6 von Anton Bruckner erklingt, ebenso beim Pfingstfestival 2023, bei dem die Erste von Gustav Mahler, dann unter der Leitung von Frank Beermann, angesetzt ist.