Werke von Jukka Tiensuu, Perttu Haapanen und Sarah Nemtsov

Helsinki Window

Finnish Baroque Orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: FiBO Records
erschienen in: das Orchester 12/2019 , Seite 68

Das Finnish Baroque Orchestra bietet ein wunderbares Beispiel für die gelebte Tendenz zur Grenzüberschreitung: Die Musiker bewegen sich nämlich nicht nur rückwärtsgewandt auf dem sicheren Terrain des Alte-Musik-Repertoires, sondern vergeben auch regelmäßig Kompositionsaufträge.
Unter dem Titel Helsinki Window hat das renommierte Ensemble nun nach der gemischten Produktion Moramoramor (2017) auf dem eigenen Label FiBO Records eine erste CD mit ausschließlich neuer Musik eingespielt. Damit illustriert es, wie sich das historische Instrumentarium mit den hohen Anforderungen zeitgenössischen Musizierens verbinden lässt, wenn man dazu bereit ist, sich auf entsprechende Erfordernisse einzulassen. Beachtlich ist nicht nur die ästhetische Bandbreite des Ergebnisses, sondern auch die vorbildliche Umsetzung der einzelnen Werke samt der Erschließung erweiterter Spieltechniken.
In der Komposition Innuo (2017) von Jukka Tiensuu (*1948) dominieren energetische Rhythmusschübe das Geschehen, immer wieder unterbrochen von deklamatorisch vorgetragenen Unisoni voller Glissandi, von mi- krointervallisch pulsierenden Akkordfelden oder filigranen Figuren in höheren Registern. Mit Coral Counterpoint (2015/16) von Perttu Haapanen (*1972) folgt ein Stück, in dem die Klänge zunächst feinmaschiger ausgesponnen werden und das Ensemble mit ruhigem Atem den kammermusikalisch hervorgebrachten Farbfäden nachspürt, bevor es sich im Mittelteil zu einer rhythmisch drängenden Einheit zusammenfindet.
Während diese beiden Werke in Ensemblestärke besetzt sind, arbeitet Sarah Nemtsov (*1980) in Running. out of tune (2013) lediglich mit zwei verstärkten Cembali – eines in mitteltöniger, eines in temperierter Stimmung – und elektronischer Zuspielung: Ergebnis ist eine rhythmisch komplexe Verzahnung zweier unterschiedlich gestimmter Instrumente und ihrer Resonanzräume, die im Verlauf durch weitere Verstimmungen verändert werden. Hierzu gesellen sich noch die zugespielten Zitherklänge, die im abschließenden, frei zu spielenden Teil die Cembalokaskaden überlagern und sich vor ihrem Verlöschen zu wildem, bisweilen perkussiv wirkendem Klanggewirr aufschaukeln.
Gleichfalls von Nemtsov stammt die ambitionierte konzertante Komposition Beyond its simple space (2018) für Cembalo und Barockorchester mit Elektronik und Objekten, die den Ensemblemitgliedern einiges an instrumentalem Können abverlangt: Im Verlauf von neun ineinander übergehenden Abschnitten, jeweils mit Fragmenten aus Robert Creeleys Gedicht Helsinki Window überschrieben, schafft die Komponistin klanglich unterschiedlich strukturierte Ereignisfelder von manchmal asketisch strenger, manchmal geradezu überbordender Klanglichkeit. Sie umschreiben die Stadien eines musikalischen Prozesses, der sich, von strenger Vierviertelmetrik ausgehend, auf zunehmenden klanglichen Zerfall hin bewegt.
Stefan Drees