Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Ludwig van Beet- hoven, Franz Schubert und anderen

Heinz Rögner (1929-2001)

MDR-Sinfonieorchester, MDR-Kammerphilharmonie, Ltg. Heinz Rögner

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 74

Was wären wir ohne die Rundfunkorchester? Wer würde ohne sie an die Klangwelten vergangener Zeiten erinnern und sie aus immer wieder neuen Sichtweisen lebendig halten? Manche Dirigenten suchen – und entdecken – zuvor verborgene Aspekte eines Werks, andere verzichten darauf und wollen ein möglichst harmonisches, in sich geschlossenes, von Spitzen und Kanten freies Klangbild erreichen.
Einer von diesen war Heinz Rögner (1929-2001), der in der DDR und nach der Wiedervereinigung das Erbe der europäischen Orchestermusik aufblühen ließ. Von 1973 bis 1993 war er Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, stand aber auch beim Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchester gerne und häufig am Pult. Mit dessen Nachfolgern, dem MDR-Sinfonieorchester und der MDR-Kammerphilharmonie, entstanden in den Jahren 1994 bis 2001 die nun in einer Box mit vier CDs zusammengefassten Einspielungen.
Schon die ersten Takte von Mendelssohn Bartholdys Meeresstille und glückliche Fahrt lassen spüren, wie Rögner und die Kammerphilharmonie auf Reise gehen: Mit viel Gefühl für ausgeglichenen, fließenden Wohlklang. Auch seine Interpretation von Beethovens Pastorale vereint die einzelnen Orchestergruppen zu einem kompakten Klangkörper und setzt weniger auf die Herausarbeitung von Kontrasten und dialogischen Momenten.
Mit einem ähnlichen, von der Romantik geprägten Klangbild gestaltet er Bruckners 6. Sinfonie als warmherziges, dynamisches Werk, zu dem er die Instrumente ohne Hervorhebung einzelner Gruppen vereinigt. Franz Schuberts „Unvollendete“ wird bei ihm zur fast meditativen Reise ins Innere der Musik, deren aufwühlende Momente insbesondere im zweiten Satz ein wenig von seiner sonstigen Gelassenheit abweichen. Obwohl George Gershwins Ein Amerikaner in Paris Gelegenheit zu aggressiverem, schärferem Klangbild böte, bleibt er seinem zurückhaltenden Ideal so treu, dass sogar die Autohupen eher verträumt als aggressiv wirken.
Gustav Mahlers Bearbeitung von Franz Schuberts Streichquartett Der Tod und das Mädchen gestaltet er mit einem feinen Gespür für Wucht und Dramatik, während die zehn Abschnitte von Max Regers Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart eher bezugslos aufeinander folgen. Seiner Grundeinstellung entsprechend, interpretiert er Maurice Ravels Orchestersuite Le Tombeau de Couperin als Füllhorn gleichberechtigt ineinander verschachtelter Melodien.
Angesichts der heutigen, eher Kontrasten und Einzelstimmen nachspürenden Auffassungen erinnern die Aufnahmen an eine Zeit, in der nicht die Transparenz und das Herausarbeiten von Spannungsbeziehungen im Mittelpunkt standen. Den Werken gerecht zu werden, bedeutete für Rögner, sie als in sich geschlossenes, präzis wie liebevoll gestaltetes Klangereignis aufzuführen. Gerade weil die eleganten, sorgfältig dirigierten Aufnahmen dieser acht Stücke die ältere Auffassung lebendig halten, sind sie wertvolle, hörenswerte Dokumente.
Werner Stiefele