Werke von Haydn, Mozart, Beethoven und Brahms

Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms

Chamber Orchestra of Europe, Ltg. Nikolaus Harnoncourt

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: ica Classics
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 67

Ende 2015 gab der Dirigent und Cellist Nikolaus Harnoncourt mit bewegenden Worten seinen Rückzug von der Bühne bekannt und nur kurze Zeit später verstarb der geschätzte Maestro im Alter von 86 Jahren. Unvergessen ist sein Lebenswerk als einer der Pioniere der historischen Aufführungspraxis. Bemerkenswert war auch sein Interesse für abseits des gängigen Repertoires stehende Werke oder Werkfassungen und unvergessen ist das Neujahrskonzert 2001 der Wiener Philharmoniker unter seiner Leitung, das er mit der relativ unbekannten Originalfassung des Radetzky-Marschs von Johann Strauß (Vater) eröffnete.
Die vorliegende CD-Box mit Werken der drei großen Wiener Klassiker und Brahms’, der der konservativ-klassischen Tradition verbunden war, würdigt Harnoncourts jahrzehntelange Verbundenheit zum Chamber Orchestra of Europe (COE). Diese fruchtbare Zusammenarbeit zeigt sich zugleich in der Zusammenstellung der Einspielungen, welche einen Zeitraum von 1989 bis 2007 umfassen und somit einen repräsentativen Rückblick darstellen. Als einer der Pioniere der historischen Aufführungspraxis setzte sich Harnoncourt für einen authentisch wirkenden Klang ein, der den Gepflogenheiten der Werkentstehungszeiten nahekommen sollte.
Besonders ansprechend sind die Interpretationen der Werke von Haydn und Mozart: Präzise und durchsichtig erstrahlt die Filigranität der Orchestrierung in allen Facetten. Der Kontrast zwischen lieblicher Kantabilität der Streicher und Holzbläser und den schroffen Einschüben an Janitscharen-Klängen im zweiten Satz von Haydns Militärsinfonie beweisen ein bemerkenswertes Feingefühl für die vom Komponisten beabsichtigten Effekte. Das tief-traurig und ernst klingende Andantino aus Mozarts „Posthorn“-Serenade erscheint unter Harnoncourts Dirigat in einem etwas abseits der üblichen Einspielungen stehenden Klanggewand: Der schlankere Ton verleiht dem Stück eine gewisse Nüchternheit, welche zur Sentimentalität vieler anderer Aufnahmen einen interessanten Kontrast bildet.
Ähnlich verhält es sich in Beethovens 5. Sinfonie: Das populäre Klopfmotiv, welches das Werk und insbesondere den Kopfsatz beherrscht, erscheint in einer klaren Präsenz, sodass man die Themenbildung aus einer einzigen Keimzelle als eine für Beethoven typische Kompositionstechnik bestens nachvollziehen kann. Bedenkt man, dass auch in den sinfonisch angelegten Werken Brahms’ im 19. Jahrhundert oft keine solch umfangreichen Besetzungen wie man sie heute von Orchestern kennt zur Verfügung standen, so sind die kleinere Besetzung des COE und der von Harnoncourt präferierte schlankere Ton nicht nur Ansatz für eine historisch orientierte Aufführungspraxis, sondern zugleich eine Kostprobe für den Klang der damaligen Zeit.
Abgerundet wird die CD-Box durch das umfangreiche Booklet, das wichtige Informationen zu den eingespielten Werken und zu Harnoncourts Interpretationsästhetik enthält. Eine gelungene Hommage an das Lebenswerk des großen Maestro!
Bernd Wladika