Robert Jungwirth/ Michael Schmidt (Hg.)

Hat Musikjournalismus noch eine Zukunft?

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Königshausen & Neumann
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 60

Wäre das Verschwinden des Feuilletons überhaupt ein Verlust? „Nein“, antworten immer mehr Verleger und Verantwortliche von Print- und Online-Medien. „Doch!“ antworten ihnen nun beherzt zehn Autoren, die sich um die Zukunft des Musikjournalismus sorgen. Sie schreiben gegen einen Trend an, der selbst in der renommierten Zeit den Kulturteil nur noch im vorletzten Buch rangieren lässt, kurz vor dem „Entdecken“. Mit Wissen, Erfahrung und Empathie untermauern die Autoren aus verschiedenen (Berufs-)Perspektiven ihre Sorgen und Suche nach Lösungen. So wundert sich nicht nur die Pianistin Yaara Tal, dass die Rebellion der Leser ausbleibt, denen immer mehr „Events“ und noch weniger fundierte Berichte serviert werden.
Hörer suchen Diskurs, nehmen Anteil an Werk, Aufführung und Interpretation, ist Wolfgang Rüdiger überzeugt. Und die Hörer geben Rückmeldung, wie er schreibt – eine Reaktion auf Gehörtes und ­Erlebtes, die Musikern und Orchestern fehlt, wenn die Presse sie ignoriert. Das aber geschieht zunehmend, nicht nur in Deutschland, wie der Komponist Manos Tsangaris schildert. Eine Uraufführung von ihm in Thessaloniki fand viel Publikum, aber keinerlei Presse­echo und damit war es, „als hätte es diese Aufführung gar nicht gegeben“. So zeichnen alle Autoren erst einmal ein Schreckensszenario: von Filter-Bubbles, Fake News, Laien-Lob in Blogs, unqualifiziertem oder parteilichem Online-Schreiben; insgesamt Abbau und Verflachung anspruchsvoller Inhalte. Alle Autoren sehen die Kritik, den reflektierenden Bericht über Musik, Orchester, Komponisten in der Krise und haben zugleich sehr hohe Erwartungen daran. Vermittlung, Naviga­tion, Bewertung soll sie sein; sie soll „Türsteher“ sein (Harry Lehmann) und Bildungsdefizite ausgleichen (Sabine Siemon).
Aus der Mehrfach-Perspektive von Publizist, Operndirektor und Dramaturg sieht Bernd Feuchtner ohne Journalismus keine Nachhaltigkeit für ein Werk. Auf diese düstere Bestandsaufnahme folgen dann Appell und Wunschzettel: Rüdiger macht die Idee einer „redaktionellen Gesellschaft“ auf, die von „dialogischem Journalismus“ gestützt wird. Allerdings sollte das nicht zum „Kritiker als Partner des Künstlers“ führen, wie er vorschlägt. Und in den Beruf des Musikjournalisten führt auch nicht nur ein Hochschulstudium, wie es Fritz Lauterbach und Herausgeber Michael Schmidt hier konstatieren. Schmidt plädiert außerdem für ­WebOnly-Audiopodcasts als Zukunftsform des kritischen Journalismus und hat dabei Honorare und Autorenrechte zu wenig im Blick.
Co-Herausgeber Jungwirth favorisiert gegen die „stille Krise“ der Kritik Fördermaßnahmen und -einrichtungen. Die Kultureinrichtungen selbst soll(t)en anspruchsvollen Journalismus unterstützen, der ihnen (mehr) öffentliche Wahrnehmung sichere – zu der sicher auch die Resonanz von Finanziers und Förderern gehört. Ob das gegen das Austrocknen des „Kleininsel-Daseins im feuilletonistischen Gewässer“ (Tal) hilft?

Ute Grundmann