Peter Petersen

Hans Werner Henze

Ein Handbuch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: edition text + kritik
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 64

Seit hanseatische Polizeiwillkür Hans Werner Henzes Oratorium Das Floß der Medusa im Dezember 1968 untergehen ließ, bevor ein Ton erklang, fühlt sich der Hamburger Musikwissenschaftler und inzwischen emeritierte Universitätsprofessor Peter Petersen dem Denken und Schaffen des vor zehn Jahren verstorbenen Komponisten aufs Engste verbunden.
Erste Frucht seiner Forschungs- und Vermittlungsarbeit waren zwölf Vorlesungen über den „politischen Musiker“, die er 1988 im Argument-Verlag dokumentierte. Es folgten zahlreiche Beiträge in Sammelbänden und Periodika, zudem der mehrfach erweiterte, schier rahmensprengende Henze-Artikel im Loseblatt-Lexikon Komponisten der Gegenwart. Er bildet gleichsam die Kornkammer des nun in derselben Edition erschienenen Handbuchs. Es ist eine, nein: die einzig umfassende und verlässliche Auskunftsquelle, wenn es darum geht, vor oder nach einem Opern- oder Konzertbesuch, einer Sendung, einer „Anhörung“ auf CD oder YouTube kurz und prägnant zu erfahren, was es mit einem bestimmten Werk Henzes auf sich hat, in welchem Lebens- und Schaffenszusammenhang es entstand, wie es angelegt ist, was es uns sagen möchte … Derlei und vieles mehr, gemeinverständlich und ohne Verbalallüren vorgetragen, ist dem Buch mit einem Handgriff zu entnehmen.
Wie schon im Komponisten der Gegenwart sind die Werkbeschreibungen und -erläuterungen nach Werkgruppen geordnet, nun aber jeweils mit einer kurzen Einführung versehen: Bühnenwerke – Vokalwerke – Orchesterwerke – Kammermusik. Hinzugekommen sind etliche Notenbeispiele. Beibehalten wurde die chronologische Anordnung des Werkverzeichnisses und der Schriften Henzes. Diskografie und Videografie wurden übernommen, das Literaturverzeichnis alphabetisch geordnet. Neu und hilfreich zum Aufsuchen von Kommentaren Henzes oder Sekundärliteratur zu bestimmten Werken ist das abschließende Universalregister. Der vorangestellte Nachruf des Autors „auf einen großen Komponisten und passionierten Sozialisten“ (2012) umreißt die humane Weltanschauung und die ästhetischen Grundfesten des Komponisten, der die Musik der Vergangenheit als „Ort der Anknüpfung“ verstand und Mahler und Strawinsky als „Brüder des Geistes“ empfand. Auch wird deutlich, warum Henze sich früh und dauerhaft nach Italien „absetzte“.
Indem Petersen Gehalt und Gestalt der einzelnen Werke ohne didaktische Verkürzungen darlegt und erfahrbar macht, beschirmt er Henzes Lebenswerk vor Verharmlosung. Staunen weckt die Vielzahl und Artenvielfalt seines Œuvres. Möge das Handbuch helfen, es vor dem Vergessen zu bewahren.
Lutz Lesle