Schwalb, Michael
Hans Pfitzner
Komponist zwischen Vision und Abgrund
Jenseits der Oper Palestrina (1917) ist vom Komponisten Hans Pfitzner nur wenig vertraut. Seine sinfonischen Werke, die drei Cellokonzerte, das Violin- und das Klavierkonzert wurden zwar auf CD eingespielt, gelangten jedoch kaum ins feste Repertoire. Auch die Lieder und die lohnende Kammermusik fristen ein Schattendasein.
Für die Wiederbelebung der romantischen Eichendorff-Kantate Von deutscher Seele (1921) musste sich Dirigent Ingo Metzmacher einst sogar öffentlich rechtfertigen. Felix Schmidt von Welt online titulierte das Werk 2008 gar als Nazimusik, denn die anbiedernde Kollaboration mit dem Dritten Reich und der Antisemitismus lassen sich aus der Biografie Pfitzners kaum streichen. Stolz berichtete er, wie der damals noch kleine Adolf Hitler ihn 1923 in einem Schwabinger Krankenhaus besuchte. Vielen gilt der Name Pfitzner daher als Synonym für einen deutschnationalen Reaktionär, der Neuerer wie Schönberg und Busoni oder den Kritiker Paul Bekker als Anhänger des Kulturbolschewismus und internationalen Judentums diffamierte. All dies treibt den meisten Interpreten (und wohl auch Veranstaltern und Zuhörern) einen Schauder über den Rücken.
Zu einer ausgewogenen Beurteilung will daher eine neue kompakte Biografie von Michael Schwalb vordringen, erschienen in der Reihe Kleine Bayerische Biografien im Pustet-Verlag. Auch darin wird nichts beschönigt und der Finger mitunter in die offene Wunde gelegt, aber immer mit der nötigen Ausgewogenheit und Sicht eines objektiven Chronisten. In einer verständlichen Sprache nähert sich Schwalb einer durchaus facettenreichen Persönlichkeit, die schon der Weggefährte und Dirigent Bruno Walter treffend als seltsamste Mischung von wahrer Größe und Intoleranz bezeichnete.
In elf Kapiteln arbeitet Schwalb das Leben des 1869 in Moskau geborenen Komponisten ab, der seine wohl schönste und erfolgreichste Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkriegs im (deutschen) Straßburg erlebte. Plastisch sind auch die Überschriften gewählt wie Himmelfahrten und Höllenstürze über die vernachlässigten romantischen Opern Der arme Heinrich, Die Rose vom Liebesgarten und das etwas naive Weihnachtsspiel Das Christ-Elflein. Über den Palestrina, auch Pfitzners Ansicht nach sein Hauptwerk, wird das Wichtigste zusammengefasst. Die Bedeutung der Kammermusik sowie Pfitzners Wirken als Beethoven-Dirigent und Pianist werden beleuchtet. In aller Kürze und Prägnanz bietet sich bis zum letzten Kapitel Altersstarrsinn
ein umfassendes Porträt des 1949 gestorbenen Komponisten.
Pfitzners Lebenslauf mag typisch für jene Zeit sein und spiegelt einen von der Übermacht der deutschen Musik überzeugten Künstler. Seine in Briefzitaten immer wieder zu Tage tretende Bockigkeit gegenüber vielen (nicht allen) Modernismen machen ihn sicher auch zur tragischen Figur. Die Qualität seiner Musik spricht allerdings für sich, Schwalb charakterisiert sie mit reiner Innerlichkeit und ungeschützter Fragilität.
Matthias Corvin