Wißmann, Friederike

Hanns Eisler

Komponist. Weltbürger. Revolutionär

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C. Bertelsmann, München 2012
erschienen in: das Orchester 09/2012 , Seite 70

Anekdoten eignen sich über ihren Unterhaltungswert hinaus nicht selten auch dazu, größere Zusammenhänge zu veranschaulichen. Als Hanns Eisler (1898-1962) im Jahr 1949 während eines Warschau-Aufenthalts den Auftrag erhalten hatte, zu Johannes R. Bechers Auferstanden aus Ruinen eine Melodie zu komponieren, die zur Nationalhymne der zu diesem Zeitpunkt gerade erst gegründeten DDR werden sollte, besuchte er mit Becher auf dieser Reise auch Chopins Wohnung und hatte dort den musikalischen Einfall. Auf dem dortigen Klavier probierte er die allenthalben bekannte Melodie aus. Wie Eislers Biografin, die 1973 geborene Musikwissenschaftlerin und -professorin Friederike Wißmann berichtet, war der Komponist von seinem Einfall sofort überzeugt und antwortete dem ob des „rasanten Schaffenstempos“ skeptischen Becher, der einwandte, Eisler möge doch noch einmal darüber nachdenken, lediglich: „Solche Sachen macht man nur sehr rasch oder gar nicht.“
Sehr rasch oder gar nicht, so der Eindruck nach der Lektüre der Biografie, könnte auch eine der Überschriften über Eislers Leben lauten. Man sieht den Komponisten abgeneigt gegenüber halben Sachen, tatkräftig bei der Arbeit wie im Privaten, unbeugsam und fröhlich oder radikal melancholisch. Wißmann schildert anregend und angenehm zu lesen Eislers Weg, der von Leipzig nach Wien und über das Berlin der 1920er Jahre in die Emigration in die USA führte, wo er sich trotz größerer materieller Unsicherheiten zunehmend wohlfühlte und aufgrund seines Temperaments zu einem Magneten des intellektuellen Lebens wurde. Der Vorwurf des Antiamerikanismus, dem sich viele Emigrierte in der McCarthy-Ära ausgesetzt sahen, zwang ihn zur Rückkehr nach Europa, wo er sich schließlich für ein Leben im Ostteil Deutschlands entschied.
Die Biografin entfaltet das Leben des Komponisten aus seinen Werken heraus. Was sie dabei zutage fördert, beeindruckt umso mehr angesichts der Tatsache, dass der stets kommunistisch bzw. sozialistisch denkende Eisler individuelle Regungen nicht nur bei seiner Arbeit in den Hintergrund verbannte, was die Wechselwirkung von Biografie und Schaffen weit mehr verschleiert als enthüllt. Man muss sehr genau hinhören bzw. -sehen, will man musikalischen Reverenzen Eislers etwa an seine Lehrer, wie Arnold Schönberg, oder Freunde erkennen, die er in Form von Tonbuchstaben in seine Stücke hineinkomponierte. Wißmann, viele Jahre Mitarbeiterin an der Eisler-Gesamtausgabe, verfügt über eine beeindruckende Kenntnis der Materie, auf deren Basis sie die kompositorischen Eigenheiten der Werke des Schönberg-Schülers eindringlich und laienverständlich beschreibt.
Durch diesen werkzentrierten Ansatz wird die Vielseitigkeit des Eis­ler’schen Œuvres verstehbar, das von der groß angelegten Deutschen Symphonie über die künstlerische Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht für Theater und Film bis hin zu Liedern oder der für den Film Regen entstandenen „mal zurückgenommenen, mal frech hervortretenden“ Kammermusik Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben reicht, in der laut Wißmann „Schönheit und Konstruiertheit keinen Gegensatz bilden“. Das lässt sich auch über diese Biografie sagen.
Beate Tröger