Eisler, Hanns

Hangman Also Die!/The 400 Million/The Grapes of Wrath/Kleine Sinfonie/Hörfleißübung

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Ltg. Johannes Kalitzke

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio C5289
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 74

Er war Schönberg-Schüler und Hegel-Verehrer. Er folgte der Devise seines Freundes und Kampfgefährten Bertolt Brecht: „Ändere die Welt; sie braucht es!“, und wurde als „Karl Marx der Musik“ aus den USA ausgewiesen. Er nutzte „alle Künste des Handwerks“ und alle Genres und Stile, schöpfte aus der Tradition und experimentierte mit modernen Techniken und Medien, um neue Musik für neue Hörer und eine neue Zeit zu schaffen.
Für solches „Patchwork“-Komponieren liefert diese CD hinreißende und erhellende Eindrücke, zumal Hanns Eislers Bühnen- und Filmmusik zumeist noch eine Terra incognita ist: Selbst „alte Bekannte“ wie Kleine Sinfonie und Fünf Orchesterstücke oder Scherzo für Violine und Thema mit Variationen, die im Musikleben der DDR vielfältig präsent waren, ohne dass ihnen die Nä­he zu Dodekafonie, Jazz oder Hollywood geschadet hätte, tauchen nun in neuen Beziehungen und ihrem ursprünglichen Zusammenhang
auf. Und sie offenbaren jene Art von Filmmusik, die Eisler in den Exiljahren 1938 bis 1948 in New York und Hollywood entwickelt hat – jenen „dialektischen Kontrapunkt“, der, „im Prinzip avancierte Methoden bevorzugend“, Bilder nicht illustrieren und Hörer nicht überwältigen will, sondern kommentierend und aufklärend wirken und dieser „angewandten Musik“ zudem eine solche Distanz verschaffen soll, dass sie auch autonom Bestand hat. Belege dafür bietet vor allem die 1938/39 entstandene Musik zum Dokumentarfilm The 400 Million von Joris Ivens über den Angriffskrieg Japans gegen China. Die umfangreiche Partitur ist zwölftönig strukturiert, folgt aber Eislers freien Regeln, die Tonalität ebenso zulassen wie deutliche semantische Bezüge: Präludium und Thema mit Variationen erhalten Marschcharakter, das Scherzo mit Solovioline besitzt Freundlichkeit und Optimismus, und die Fünf Orchesterstücke zeigen Ernst und Dynamik. Die Musik für den sozialkritischen Film The Grapes of Wrath (1941/42) und für den Anti-Nazi-Film Hangmen Also Die! – nach Brechts Drehbuch und 1944 für den „Oscar“ nominiert – steht in Opposition zu Hollywoods Kulturindustrie und ist eng miteinander verwandt: Kampfliedstil, Zwölfton-Largo, emotionale Dichte und schrille Begleittöne finden hier wie dort Verwendung.
Vollends ein Montage-Stück ist die 1932 uraufgeführte Kleine Sinfonie: Die lebhaften Ecksätze zwölftönig, das fulminante Allegro assai tonal und aus der Bühnenmusik zu Kaspar Hauser stammend, die Invention eine Verbeugung vor Bach und dem Jazz und der Musik zu Die Mutter zugehörig. Hörfleißübung (1931) schließlich, die in der 1. Orchestersuite und in der Deutschen Sinfonie wiederkehrt, vereint Dodekafonie mit Kampfmusik – und das verfremdete Arbeiterlied-Zitat will zusätzlich erkannt werden. Johannes Kalitzke und das Rundfunk- Sinfonieorchester Berlin werden dem Tempo der Zeit und der Kunst Hanns Eislers großartig gerecht – virtuos und elegant, mit Emphase und Biss bringen sie die Originalität und den Impetus dieser Musik eindrucksvoll zur Wirkung.
Eberhard Kneipel