Handel for Brass

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berlin Classics 0016552BC
erschienen in: das Orchester 01/2010 , Seite 74

In seinem Jubiläumsjahr „händelt“ es allenthalben. Nun stimmt es ja: Der deutsch-englische Meister rief nach Blechbläsern, wann immer Pompöses musikalisch zu schildern war, und das nicht nur in der Wasser- und in der Feuerwerksmusik. Tat er es, dann fegte der massierte Bläserklangsturm den Zuhörer vom Sitz – im Freien brauchte es dazu auch Trompeter, Oboisten und ihre blasenden Kollegen gleich in Massen. Was in Renaissance und Frühbarock auf dem europäischen Festland wegen strenger Zunftvorschriften lange Zeit kaum möglich war, das gemeinsame Musizieren von Trompeten und Hörnern, findet sich schon im barocken England, wenn es auch schwierig war, Trompeten chromatisch diffizilere Naturhörner beizugesellen. Händel kümmerte sich offenbar weder um außermusikalische Unsitten noch um spieltechnische Vertracktheiten, schrieb vielmehr viele gemeinsame Partien für Trompeten und Hörner.
Mit seiner Händel-Jubiläums-CD gliedert sich das Schweriner Blechbläser-Collegium in den Kreis der inzwischen nicht mehr seltenen Brass-Ensembles ein, die uns jenseits der reinen Quintettbesetzung seit vielen Jahren in der Kombination von mehreren Trompeten, Hörnern, Posaunen, dazu Tuba und oft Pauken mit imposanter Klanggewalt, aber auch mit manch intim betörendem Sologesang erfreuen, etwa German Brass, hr-brass, Ludwig Güttlers Blechbläser, Ad-hoc-Formationen aus bekannten Orchestern bei uns und in Übersee – sie alle nahmen sich ein Beispiel an dem, was Philip Jones in den 1950er Jahren in England in dieser Form erfunden hat und womit er bald Nachahmer fand. Weil es wenig originale Literatur für diese neuen Ensembles gab, bearbeiteten Philip Jones und sein Kollege Elgar Howarth zahllose Werke zwischen Gabrieli und Mussorgskij; andere taten es ihnen gleich, am liebsten mit Werken des großen Bach, aber eben auch mit Einzelstücken aus Händels riesigem Œuvre – Brass-Arrangements füllen inzwischen Bände. Die Stücke dieser CD hat mehrheitlich Hans-Joachim Drechler für Blechbläser bearbeitet; zwei der Bearbeitungen stammen von Reinhardt Lippert und Paul Archibald.
Die Schweriner nahmen sich nicht nur Händel-Schlager vor wie „Ombra mai fù“ – das berühmte Xerxes-Largo – und das Rinaldo-„Lascia ch’io pianga“ oder die hinreißende Ankunft der Saba-Königin aus “Salomon”, sondern sie wagten sich auch an Feinziseliertes, Empfindungsreiches, vom barocken Affekt Bestimmtes: Da braucht’s dann eine Solotrompete oder ein Solo(flügel)horn für herzbewegende Arienmelodien, was bei stattlichen 24 Einzelstücken zu wunderbaren Kontrasten führt zwischen pompösem Überschwang und betörender Schlichtheit. Dieser Solo- wie Tutti-Klangfarbenreichtum gelingt den blitzsauber intonierenden Schwerinern eindrucksvoll, nur dem Messias-„Hallelujah“ fehlen trotz Trompetenblitzen dann doch Chor- und orchestrale Klangwucht – aber dieser CD-Abschluss dauert nur drei Minuten und da hat man wunderschönes Händel-Geblasenes schon mehr als eine Stunde lang genossen…
Diether Steppuhn