Caskel, Julian / Hartmut Hein (Hg.)
Handbuch Dirigenten
250 Porträts
Wenn die nüchterne, analytisch-sachliche und vorsichtig abwägende Musikwissenschaft auf die Kunst des eher hochemotional-impulsiven und oft diktatorischen Orchesterdirigierens trifft, kann es schon mal brenzlig werden. Das müssen die Herausgeber (beide Musikwissenschaftler) des neuen Handbuch Dirigenten gewusst haben. Schon in der Einleitung nämlich versuchen sie, quasi im Wege der Prophylaxe, Wogen zu glätten, die noch gar nicht hochgegangen sind. Und sie müssen geahnt haben, dass die eher willkürlich anmutende Beschränkung auf 250 Dirigentenporträts zwangsläufig zu Missverständnissen, Kopfschütteln, ja: Anfeindungen führen könnte. Dabei wird die Zahl 250 mit dem Anlegen dreier Kriterien begründet, welche sich eigentlich aufdrängen: diskografische Präsenz, besondere Repertoirepräferenzen sowie lokale und zeitgebundene Bedeutung eines Dirigenten. Die Summe dieser Auswahlkriterien führt dennoch zu einigen nicht nachvollziehbaren Ergebnissen, etwa dass ein Dirigent wie der eher unbekannte Kölner Werner Erhardt (geb. 1957) Berücksichtigung findet, ein Name wie der des in Europa hochgeschätzten Japaners Masaaki Suzuki (geb. 1954) dagegen fehlt.
Und die Herausgeber versuchen gleich eine weitere Schwachstelle ihrer Neuveröffentlichung zu entschärfen: Dieses Buch wird [
] bei seinem Erscheinen bereits veraltet sein. Richtig! Zwar verweisen die Autoren auf die Homepage des Verlags sowie auf die bekannten Wissensportale im Netz, zeigen aber mit diesen eher hilflos anmutenden Aktualisierungstipps unbewusst die eigentliche Stärke des Buchs auf, denn diese kann gar nicht in der Aktualität liegen.
Der Kern des Buchs besteht vielmehr aus den 250 grandios abgefassten, eher zeitlosen, gleichsam essayhaften Künstlerporträts, die sprachlich-konzeptionell mit das Beste sind, was über Dirigenten in den vergangenen Jahren überhaupt veröffentlicht wurde. Nach kurzen biografischen Angaben im Datenkopf verzichten diese Kurzwürdigungen nämlich auf die üblicherweise geschönten Lebensläufe oder Selbstdarstellungen, die von Labels, öffentlichen Rundfunkanstalten und Konzertagenturen weitergereicht werden. Verschiedene Autoren gehen hier vielmehr einen anderen, fesselnd zu lesenden Weg: Bei der Vorstellung der 250 Dirigenten geben sie Hintergrundinformationen, ohne oberflächlich zu sein; sind sachlich und wecken doch Gefühle für die verschiedenen Dirigentencharaktere; sind konzise in der Darstellung und leuchten doch in faszinierender Geräumigkeit das Wirken sowie die Ausstrahlung der porträtierten Künstler auf; geben wertvolle Einordnungshilfen in den Interpretationsansatz des Dirigenten, ohne wertend zu sein.
Wer also das Handbuch Dirigenten erwerben möchte, sollte sich ohne Umschweife diesem Teil des Buchs widmen und die 250 Kurzporträts unmittelbar genießen. Dann hätte sich auch der Kaufpreis von knapp 40 Euro mehr als gelohnt.
Thomas Krämer