Engelbert Humperdinck

Hänsel und Gretel

Theater Chemnitz, Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz, Ltg. Guillermo García Calvo

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Rondeau
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 71

Mit diesem Mitschnitt von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel macht sich das Opernhaus Chemnitz selbst ein Geschenk. Bereits seit 1991 läuft dort die Inszenierung von Steffen Piontek, zunächst in der Ausweichspielstätte im Luxor-Palast, ab 1993 im rekonst­ruierten Opernhaus. Viele kleine und große Besucher:innen haben die Märchenoper in den letzten 30 Jahren so erlebt und liebgewonnen. Es gibt darin sogar einen lokalen Bezug: So formt sich das Bühnengeschehen bei der „Traumpantomime“ im zweiten Bild zu einer Art Weihnachts-Pyramide, die an Holzschnitzereien aus dem Erzgebirge erinnert. Auch die herumtollenden 14 Engel der Opernballettschule Chemnitz gleichen den beliebten Engel-Figürchen.
Aufgenommen wurde live, aber ohne Publikum, während der erneuten winterlichen Corona-Schließung Ende November 2021. Mit einem Kameradrohnenflug über das abendliche Chemnitz und das Opernhaus startet der Film zu den Klängen des Vorspiels (Video-Director: Moritz Hils). Im Foyer trifft man kurz darauf schon mal alle Protagonist:innen der Handlung an. Eine schöne Idee in dieser rundum gelungenen, aber sehr traditionellen Inszenierung, in der man neben der hölzernen Besenbinder-Hütte viel grünen Tannenwald und natürlich ein pittoreskes Lebkuchen­haus sieht.
Es gibt sicher modernere Deutungen der beliebten Oper auf DVD, etwa von Katharina Thalbach aus Dresden (Arte Edition, 2007) oder von Frank Corsaro aus Zürich (Arthaus, 2010). In Stuttgart hat zuletzt Axel Ranisch die grausamen Seiten des Märchenstoffs aufgedeckt. Im Gegensatz dazu wirkt die Chemnitzer Hänsel und Gretel-Produktion wie eine Reise in die Vergangenheit. Piontek versucht erst gar nicht, die Märchenoper neu zu deuten. Er erzählt die Geschichte fantasievoll und nahe am Textbuch. Und auch dieser Weg hat seine Berechtigung.
Musikalisch erlebt man eine hohe Ensembleleistung. Die Hauptrollen sind mit Marlen Bieber (Hänsel) und Marie Hänsel (Gretel) entsprechend lyrisch und mit sehr klangschönen Stimmen besetzt. Beide spielen ihre Partien mit geradezu kindlicher Frische. Der genügsame Vater (Till von Orlowsky) hat immer eine Flasche zur Hand, auch darüber rollt seine strenge Frau Gertrud (Antigone Papoulkas) mit den Augen. Agil gibt sich Daniel Kirch als Knusperhexe, die in etwas tantenhaft-bunte Frauenkleidung gesteckt wird. Die Besetzung mit einem Tenor ist seit Humperdincks Zeiten gebräuchlich. Kirchs Darstellung wirkt eher komödiantisch und trotz Knalleffekten selten furchteinflößend; sicher zur Freude zuschauender Kinder. Gut besetzt sind zudem die beiden Nebenrollen: das zur Fee mutierte Sandmännchen (Anna Grycan) und das frühlingshafte Taumännchen (Daria Kalinina).
Die Robert-Schumann-Philharmonie unter ihrem Chef Guillermo García Calvo präsentiert die Partitur recht schlank, mit fließenden Tempi und feinen Farben. Kurzum: eine DVD zum Kennenlernen der beliebten Oper, denn die Inszenierung entführt in eine Märchenwelt wie aus dem Bilderbuch.
Matthias Corvin