Elke Kamprad
Händel für alle
An der Musikschule Lahr leitet Annabelle Cavalli ein Jugend-Barockorchester
Jugendliche und Kinder spielen in einem Barockorchester? Aber sicher doch. An der Musikschule Lahr hat die Blockflötistin Annabelle Cavalli 2016 das Barockorchester Lahr für unternehmungslustige junge Instrumentalisten gegründet. „Barocknacht“ hieß das Sommerkonzert des Ensembles in der Evangelischen Kirche in Lahr-Meißenheim. Es war farbenreich und heiter.
Alle sind willkommen in diesem Barockorchester. Es geht nicht um historisch-informierte Aufführungspraxis, sondern um die Freude am gemeinsamen Musizieren mit Barockmusik. Am Anfang stand Cavallis Wunsch, ihren Blockflötenschülerinnen und -schülern mehr als nur die originale historische Kammermusik für Flöte, Geige und Continuo bieten zu können oder dann auf fortgeschrittenem Niveau die Solokonzerte einzustudieren. Im Barockorchester Lahr kann jeder und jede mitmachen. Blockflöten vom Sopran bis Bass, Streicher, Bläser, Trommeln. Alle bekommen die barocken Stücke von Annabelle Cavalli ganz persönlich auf das eigene Können hin maßgeschneidert. Anfänger sorgen so für den fülligen Streichersound mit harmonisch wichtigen Liegetönen. Preisträger von „Jugend musiziert“ spielen solistische Parts. Die Jungs spielen in weißen Tennissocken. Die Mädchen im schwarzen Spitzen-Sommerkleidchen. Vom Vivaldi-Flötenkonzert bis zur „barockigen“ Neukomposition zu einem Google-Filmchen gibt es alles in Cavallis Truppe. Eine Blockflötenschülerin erzählt, warum sie mitspielt: „Weil es Spaß macht! Weil Frau Cavalli dafür brennt und immer neue Stücke mitbringt. Ihre Begeisterung steckt an.“
Cavalli steht mit der Rahmentrommel im Kirchenschiff. Sie blickt in alle Richtungen. Überall im Raum sind die Instrumentalisten verteilt für den eröffnenden altfranzösischen Gruppentanz, einen Bransle. Cavalli gibt mit der Trommel den Takt an, geht umher, gibt Einsätze und hält alles mit ihrem Trommelschlag zusammen. Dann wechseln die Besetzungen zu kleineren Trios mit solistischen Flöten, Geigen und Continuo. Hier zeigen Wettbewerbspreisträger ihr fortgeschrittenes Können. Da wird fein musiziert, da zeigt sich Musikalität. In Corellis La Follia spielen Mila Xu (Flöte) und Oscar Ehrlich (Cello) Virtuoses mit Schwung. Dann gibt es zu entdecken, dass der Geiger Emmanuel Marquigny auch Cembalo spielen kann und später noch als Sänger mitwirkt. Oder dass die Voice-Flute, die Tenorblockflöte in D, mit ihrem sonoren Klang nichts zu tun hat mit dem scharfen Ton der Anfängerblockflöte.
Im freudigen Tutti spielt das Lahrer Barockorchester die Ouvertüre zu Marc-Antoine Charpentiers Te Deum und Tänze aus Händels Oper Almira. Geigen, Blockflöten, Celli, Kontrabass, Schlagwerk oder Fagott ergeben einen einheitlichen, agilen Gruppenklang. Facetten- und klangfarbenreich sind die unterschiedlichsten Besetzungen ausgearbeitet. Schon ein kleiner Wiederholungsabschnitt mit Glockenspiel ist wie eine kurze frische Brise. Wenn zwischendurch drei Solisten hervortreten, ist das wie ein bunt-leuchtendes Mosaiksteinchen. Jeder Mitwirkende spielt genauso viel, wie er sich zutraut und wie es Annabelle Cavalli arrangiert hat. Dadurch werde der Druck weggenommen, sagt Cavalli. Und in den Proben könnten sich die jüngeren Musizierenden von den anderen anstecken lassen, sich mehr zu trauen. Das sei dann „wie eine Schneekugel“, die immer größer werde. Das macht den Auftritt auch stressfreier und ermöglicht allen das schöne Gemeinschaftserlebnis eines Konzerts. Cavalli nutzt fantasievoll, was die Barockmusik mit ihrer Kleinteiligkeit und den verschiedenen Concerto-Formen zulässt. Das ist dann nicht die Originalbesetzung, auch nicht die tiefe originale Stimmung. Aber alle können Freude an der Musik haben und im kräftigen Tutti finden alle zusammen.
Verträumt und lieblich hingegen entfalten sich Songs unbekannter Meister von den britischen Inseln. Auch hier zeigt sich, wie beweglich, ideenreich und inspiriert Cavalli arbeitet. Sie sitzt nun am Spinett mitten in der Schar ihrer Schülerinnen und Schüler und leitet von dort aus das Zusammenspiel. Es klappt bestens. Und beweist, wie gut geschult jeder einzelne Instrumentalist dieses Jugendorchesters ist. Denn nur, wer den anderen wirklich gut zuhört, sich dementsprechend einfügt und gleichzeitig selbstverantwortlich spielt, kann ohne die deutlichen Angaben einer Dirigentin musizieren. Cavalli kann dann sogar für ein Stück als Solistin vor das Orchester treten und sich begleiten lassen in ihrem romantisch-feinen Song aus Schottland.
Annabelle Cavalli ist im französischen Annecy aufgewachsen, hat erst in Lyon und dann in Freiburg bei Agnes Dorwarth Blockflöte und bei Andreas Doerne Musikpädagogik studiert. In Freiburg hat sie auch zwei Ensembles für Renaissance- und Barockmusik gegründet: L’Ephémère und Flauto Dolce. CDs zeugen von feiner Klangkultur. Nun stößt Cavalli also mit dem Barockorchester für Jugendliche weitere Fenster auf. Es scheint Bewegung in die Szene zu kommen: Fast zeitgleich zu Cavalli hat Gerd-Uwe Klein vom Freiburger Barockorchester das Landesjugendbarockorchester Baden-Württemberg gegründet und kürzlich gab es in Köln das erste Jugend-Barockmusikfestival Deutschlands, veranstaltet von Schülern und dem Zentrum für Alte Musik.
Anfang 2022 hat Cavalli mit ihrem Orchester am Jugendwettbewerb der Händel-Gesellschaft Karlsruhe teilgenommen – und den 1. Preis bekommen. Und im Frühsommer hat sie die Grenze überschritten und eine Kooperation mit einem französischen Laienbarockorchester in Palaiseau aufgebaut. So haben die Lahrer Jugendlichen auf ihrer Konzertfahrt zusammen mit französischen Musikern auch im Schloss Chambord an der Loire konzertiert. Außerdem ist das Barockorchester Lahr beim Landes-Musik-Festival Baden-Württemberg in Göppingen aufgetreten.
Im Konzert gab es auch noch zu hören, wie die Profis Barockmusik machen: Annabelle Cavalli hatte ihr Ensemble L’Ephémère mitgebracht, das auch regelmäßig mit den Jugendlichen in Workshops arbeitet. Es gab dezente Renaissancemusik, ruhig, sinnlich, warm. So erlebten Lernende von ihren Lehrern ganz real, wie diese als Musiker auf der Bühne stehen, wie sie ihren Beruf ausüben. So etwas steckt an.
Zum Abschluss „Barockiges“: Guillaume Cochard-Lemoine hat Musik zu einem kurzen Google-Trickfilm komponiert. Von verspielt und verträumt bis draufgängerisch kommt das Musikstück daher und das Publikum forderte mehrere Zugaben. Begeisterung gab es an diesem farbigen und spielfreudigen Abend nämlich viel.