Gut gespielt ist nicht genug

Die Welt des Stuttgarter Kammerorchesters, Fotos von Reiner Pfisterer

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Urachhaus
erschienen in: das Orchester 02/2021 , Seite 60

Einen grandiosen Bildband hat das Stuttgarter Kammerorchester zum 75. Jahr seines Bestehens, gewissermaßen als Festschrift in eigener Sache, herausgebracht. Er ist im Buchhandel zu haben und sucht gegenwärtig als fotografisch ausdrucksstarkes Zeitdokument der Klassikszene seinesgleichen.
Der in Ludwigsburg ansässige Fotograf Reiner Pfisterer begann mit der Saison 2010/11, das Ensemble in Proben und Konzerten zu begleiten. Er war auch auf vielen internationalen Tourneen der 17 Musiker dabei. Es entstanden Fotos in hoher Brillanz, wobei die Aufmerksamkeiten weniger den Bühnenauftritten im Rampenlicht gelten, sondern mehr den vermeintlichen Nebensächlichkeiten des Klassikbetriebs.
Da wäre das einsame Üben im Hotelzimmer zu früher Stunde, wenn draußen hinterm Fenster die Morgendämmerung die Skyline Kuala Lumpurs in blaugraues Licht taucht. Oder das bis auf die letzten Melonenschalen leer gegessene Cateringbuffet, über dem allein und verlassen ein Monitor an der Wand hängt und das Livebild aus dem Saal überträgt, wo das Kammerorchester gerade Platz genommen hat, um mit dem Konzert zu beginnen.
Viele Bilder Pfisterers erzählen Anekdoten, die ansonsten vielleicht nicht der Rede wert wären. Über den Bassisten Renger Woelderink zum Beispiel, der mit Tournee-Kontrabass reist, dessen Hals abmontiert werden kann, damit er noch als normalgroßes Gepäckstück bei den Fluggesellschaften durchgeht.
Pfisterer liefert auch spannende Ansichten der Konzerthäuser, in denen das Kammerorchester gastierte. Zu sehen ist etwa die imposante Glasarchitektur mit vielen Lichtreflexen beim Shanghai Oriental Art Center oder das National Center for the Performing Arts in Peking mit seinem gigantisch weit gespannten,  abgeflachten Kuppelbau, der zur späten blauen Stunde wie ein Ufo leuchtet.
Die insgesamt 160 Fotografien sind in acht Kapitel gruppiert, und unter „Konzertieren“ finden sich auch szenische Porträts, wahre Meister-Schnappschüsse. Sie zeigen einzelne Orchestermitglieder, tiefenscharf fokussiert, während andere nicht vollends aus dem Bild treten, sondern leicht verschwommen präsent bleiben.
Mit dem Buchtitel Gut gespielt ist nicht genug ist gemeint, dass es hinter den Kulissen noch viele, oft ungesehene Faktoren gibt, die ein gut gespieltes Konzert erst möglich machen. In diese Richtung erklärt Intendant Markus Korselt den Buchtitel im Vorwort. Ein Abschnitt „Historie“ rundet das Fotobuch ab. Es lässt die Geschichte des Stuttgarter Kammerorchesters von den Anfängen 1945 unter Karl Münchinger bis heute Revue passieren.
Deutlich wird darin, dass die internationalen Reisen für das Renommee des Klangkörpers und für den Kulturaustausch – etwa mit der Sowjetunion – seitdem unverzichtbar waren. Der große, sich anbahnende Konflikt mit dem Klimaschutz, dessentwegen zukünftig alle Tourneen kritisch hinterfragt werden müssen, wird im Buch nicht thematisiert. Das sollte spätestens der Bildband zum Hundertsten tun. Denn Pfisterer fände dafür sicher heute schon Motive.
Sven Scherz-Schade

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