Gustav Mahler

Symphonie Nr. 5

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Mariss Jansons

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BRmedia Servive
erschienen in: das Orchester 02/2018 , Seite 66

Klatschen und Bravorufe am Schluss verraten: Diese CD dokumentiert ein Konzertevent. Oder besser gesagt: gleich zwei Livekonzerte am 10. und 11. März 2016, aus denen dieser Münchner Mitschnitt von Gustav Mahlers fünfter Sinfonie erstellt wurde. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielte in der Philharmonie am Gasteig unter ihrem Chef Mariss Jansons.
Ein authentisches Hör-Erlebnis aus dem Zuschauerraum konserviert aber auch diese Scheibe nur bedingt. Sie ist vielmehr ein Triumph der Tontechnik, die wirklich jedes Instrument einfängt. Weder Solo-Violine noch Bassklarinette dürften vor Ort so überdeutlich die Ohren der Zuschauer erreicht haben. Der Vorteil des Mix liegt in einer absoluten Präsenz der Partitur mit allen Haupt- und Nebenstimmen – selbst innerhalb der Streichergruppe. Ein Genuss an der heimischen Anlage. Der Kenner von Mahlers Werk erlebt so manche Passage ganz neu beleuchtet und gewichtet.
Jansons spielte bereits Mahlers Siebte und Neunte mit dem BR-Klangkörper ein. Ihm gelingt eine Interpretation, die hängen bleibt. Allerdings weniger durch den mitreißenden Effekt, sondern durch Genauigkeit, Transparenz und Vertiefung. Übertriebene Ekstase ist ja ohnehin nicht sein Ding. Bereits der Tempo-Umschwung im Kopfsatz-Trauermarsch (T. 155) wirkt äußerst homogen, keinesfalls aufschreckend wie in manch anderer Aufnahme (etwa der unter Erich Leinsdorf aus Boston, RCA 1963). Auch der „stürmisch bewegt“ überschriebene zweite Satz läuft nie aus dem Ruder, sondern das Orchester wird vom Dirigenten immer wieder gezügelt. Das mag insgesamt nicht der leidenschaftlichste Mahler sein, aber auch kein unbeteiligter. Jedenfalls gehört eine gewisse Kunst und Disziplinierung dazu, im Scherzo so wenig musikantisch frei drauf losspielen zu lassen. Dem Wienerischen misstraut ausgerechnet der Neujahrskonzert-Dirigent Jansons.
Das Adagietto fließt, bleibt aber dennoch flexibel im Tempo. Mit 8’52” Minuten liegt Jansons voll im Trend. Markus Stenz wählte mit dem Gürzenich-Orchester (2009) ein ganz ähnliches Zeitmaß. Vorbei die Zeiten, als Giuseppe Sinopoli oder Leonard Bernstein diesen durch den Visconti-Film Tod in Venedig weltberühmten Satz auf über zehn oder gar über elf Minuten dehnten. Auch das Glissando der ersten Violinen und Bratschen gegen Ende lässt Jansons eher dezent abgleiten. Man muss schon genau hinhören, um es mitzubekommen.
Das auf allen Positionen stark besetzte und im Blech wieder beeindruckende Orchester ist eine Klasse für sich. Trotz klarer Akzente durch den Dirigenten wirkt alles organisch und strömend. Mit Mahler hat sich der Klangkörper des Bayerischen Rundfunks ja Ende der 1960er unter Rafael Kubelik verewigt – auch wenn sich das Orchester seither runderneuerte. Nun leistet man sich dort sogar den Luxus, beim Haus-label BRKlassik der Neunten unter Bernard Haitink (2013) zügig eine Neunte mit Jansons (2016) folgen zu lassen. Wo gibt’s denn sowas? Wohl nur in Bayern.
Matthias Corvin