Schaufler, Wolfgang
Gustav Mahler
Dirigenten im Gespräch
Die Literatur über Gustav Mahler ist längst unüberschaubar geworden. In ihr wird gemessen an der gewachsenen Bedeutung seiner Werke im Konzertrepertoire selbstverständlich auch die Frage nach der musikalischen Praxis, nach der klingenden Interpretation gestellt. Diese nimmt vor allem die Dirigenten seiner Musik in den Blick, denn als Sinfoniker hat Mahler selbst der vielleicht bedeutendste Dirigent seiner Zeit in erster Linie den Orchesterdirigenten gefordert. Mahler und seine Dirigenten: Sie tauchen in der Literatur über den Komponisten schon früh auf. Zum Beispiel in Gestalt der Erinnerungen und Gedanken von Bruno Walter, der eng mit Mahler zusammengearbeitet hat. Der amerikanische Dirigent und Mahler-Apologet Leonard Bernstein hat sich in seinen Schriften und Fernsehsendungen immer wieder engagiert zu Mahler geäußert. Später hat Michael Gielen, seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Mahler-Dirigenten, in Gesprächen mit Paul Fiebig intensiv alle Sinfonien bedacht. In diesem Kontext war also das vorliegende Buch längst überfällig. In ihm äußern sich fast alle bedeutenden lebenden Mahler-Dirigenten zu ihren Erfahrungen mit dieser Musik und ihrer eigenen Sichtweise auf Mahler und sein Werk.
Es fehlen in dieser überaus spannenden und für Laien wie für Fachleute eminent lohnenden Publikation eigentlich nur drei in Sachen Mahler relevante Dirigenten-Persönlichkeiten: Eliahu Inbal, dessen Sinfonien-Zyklus auf CD zu den wichtigsten Einspielungen gehört, James Levine und Roger Norrington, der mit seinen Stuttgarter Mahler-Aufführungen im vibratolosen Spiel eine eigene Position vertritt und gewiss Wichtiges zu Mahler und seiner Aufführung beizutragen gehabt hätte.
Doch auch so ist das Buch, das übrigens mit einem Beitrag von Reinhold Kubik über die Beziehung Mahlers zu seinem bevorzugten Verlag, der Wiener Universal Edition, beginnt, voll von aufschlussreichen und nachdenkenswerten Äußerungen. Das Gute und das Lese- wie das Denkvergnügen wesentlich Befördernde ist dabei, dass ganz unterschiedliche Ansätze und Aspekte behandelt werden. Es gibt, zum Beispiel mit der Eingangsfrage nach dem ersten Mahler-Erlebnis, sehr persönliche Aussagen der befragten Dirigenten von Abbado über (u.a.) Blomstedt, Boulez, Chailly, Gergiev, Haitink, Jansons, Maazel, Mehta, Nelsons, Nott, Rattle bis zu Zinman , dann aber auch sehr konkrete handwerkliche Anmerkungen, schließlich grundsätzliche Reflexionen über die Bedeutung von Mahlers Werk. Der Ton ist in den meisten Interviews offen und locker und in der Aussage sind fast alle Gespräche überaus erhellend. Die Einsicht über Mahler und die Wiedergabe seiner Werke wird durch die Lektüre des Buches in nicht geringer Weise gesteigert. Und selbst wenn Michael Gielen deutliche Kritik an Bernsteins Mahler-Stil übt, dann ist das weniger Kollegenschelte als Verdeutlichung einer eigenen, konsequenten und scharfsinnigen Mahler-Sicht.
Die Porträtzeichnungen der 29 Maestri durch den Illustrator Peter M. Hoffmann geben dem Band zudem eine sehr reizvolle optische Note.
Karl Georg Berg