Jules Massenet

Grisélidis

Vannina Santoni, Julien Dran, Thomas Dolié, Tassis Christoyannis, Antoinette Dennefeld, Adèle Charvet, Choeur Opéra National Montpellier Occitanie, Orchestre National Montpellier Occitanie, Ltg. Jean-Marie Zeitouni

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Palazetto Bru Zane
erschienen in: das Orchester 6/2025 , Seite 68

Die Vorlage aus dem alten Volksbuch ist aufgrund der perfiden Prüfungen für die nichtadelige Griseldis durch ihren Gatten nur schwer erträglich. Nicht so Jules Massenets wunderschönes und die Provence sowie das Mittelalter verherrlichendes Hybrid-Musiktheater Grisélidis mit dem Textbuch von Armand Silvestre und Eugène Morand. Dieses wurde 1901 an der Pariser Opéra-comique uraufgeführt. Mit dem berauschenden Vorspiel und der hier von Julien Dran emphatisch gesungenen Hymne des Schäfers Alain auf die unbescholtene Titelfigur beginnt ein märchenhaftes Opernvergnügen. In diesem führt der Teufel mit seiner trotz Ehekrise ihm helfenden Frau Fiamina unlautere erotische Attacken gegen Grisélidis. Es kommt zu mehreren Intrigen der bösen Mächte gegen die Tugend des zur Marquise aufgestiegenen Bauernmädchens. Die potenzielle Gefahr für die eheliche Treue der Grisélidis durch Alain wurde von Jules Massenet mit allen Finessen eines verführerischen Liebeszaubers ausgestaltet. Nach Cendrillon war das Massenets zweite raffinierte Vertonung eines Märchenstoffes als durchkomponierte Opéra-comique, bei der Massenets früher als zweitrangiger Zuckerguss verurteilte Leichtigkeit tatsächlich ein meisterhaftes Alleinstellungsmerkmal ist.
Die Neuaufnahme hat nicht die üppige Emphase des 30 Jahre alten Mitschnitts vom Festival Massenet Saint-Étienne unter Patrick Fournillier. Das liegt auch daran, dass hier die Interpretationsangaben der Partitur penibel umgesetzt werden, dadurch die Aufmerksamkeit fast mehr der Diktion als dem Melos gilt. Jean-Marie Zeitouni akzentuiert mit dem stilkundigen Ensem­ble alle Feinheiten von Massenets sträflich vernachlässigtem Edelstück – in der Fülle, im Detail und in der Koordination zwischen Orchester und Stimmen. Es wäre Grisélidis zu wünschen, dass sie alsbald einen ähnlichen Erfolgsdurchbruch im deutschsprachigen Raum erleben wird wie Cendrillon.
Vannina Santoni brilliert auch in den dramatischen Aufschwüngen der Titelpartie, löst deren Herausforderungen der Fügsamkeit mit ehrlicher Würde. Julien Dran als Alain und Thomas Dolié als Marquis wirken nobel und distinguiert. Das passt, wenn auch in beiden Partien etwas expansionskräftigere Stimmen denkbar wären. Tassis Christoyannis stiehlt als Teufel den beiden fast die Schau, hat hohes Format im schlanken Timbre. Antoinette Dennefeld gibt eine Teufelsgattin mit dem idealen Wissen für Wirkungsmöglichkeiten.
Es wäre schade, wenn wieder dreißig Jahre bis zur nächsten Neueinspielung von Grisélidis vergehen müssten und dieses entzückende Stück so lange wieder aus dem Fokus fallen würde. Das darf nicht sein, auch weil es bei Weitem nicht so viele französische wie slawische und deutsche Märchenopern gibt.
Roland Dippel

 

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