Eugen Engel

Grete Minde. Oper in drei Akten

Libretto von Hans Bodenstedt nach Theodor Fontanes gleichnamiger Novelle. Opernchor des Theaters Magdeburg, Magdeburgische Philharmonie, Ltg. Anna Skryleva

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Orfeo
erschienen in: das Orchester 04/2024 , Seite 70

Der Fund des Notenmaterials durch die Nachfahren des 1943 im Vernichtungslager Sobibor umgebrachten Autodidakten Eugen Engel (1875–1943) bescherte dem Opernhaus Magdeburg im Februar 2022 eine international gefeierte Sensation: die posthume Uraufführung der Oper Grete Minde nach der Novelle Theodor Fontanes (1879). Engel tastete sich nicht zu Kurt Weills Frechheiten und zur Zwölftönigkeit vor wie Paul von Klenau in Michael Kohlhaas nach Kleist (1933). Grete Minde hätte den damaligen Machthabern sicher gefallen, wäre Engel nicht Jude gewesen. Engel liebte die deutsche Kultur und fühlte sich ihr verbunden. Karen Stone präsentierte am Ende ihrer Intendanz das die Hochspannungen vor 1940 spiegelnde Werk. Diese Assoziationen erschließen sich auch in der Aufnahme.
Tangermünde 1614 bis 1617: Grete Minde flieht vor ihrem habgierigen Halbbruder Gerdt und dessen Frau Trude. Mit ihrem Jugendfreund Valtin schließt sie sich einer Komödiantengruppe an. Aber Valtin stirbt und Grete bleibt mit beider Säugling zurück. Als Gerdt ihr das legitime Elternerbteil verweigert, setzt Grete Minde die Stadt Tangermünde in Brand und kommt auf dem Kirchturm ums Leben. Fontane und Engel zeigten für die Unbeugsamkeit ihrer Titelfigur Verständnis. Engels Textdichter Hans Bodenstedt milderte das Verbrechen Gretes, die bei Fontane auch das Kind ihres Halbbruders tötet.
Anna Skryleva artikuliert eine große Zuneigung für die Musik. Raffaela Lintl singt die Titelpartie mit Schmelz und großen dramatischen Bögen. Zoltán Nyári als Valtin mit expressiver Sterbeszene und Kristi Anna Isene als neidische Schwägerin Trude haben wirkungsvolle Partien. Die meisten Nebenfiguren artikulieren nur Wesentliches. Johannes Wollrab als Prinzipal, Na’ama Shulman als emotionale Zenobia und Benjamin Lee als Hanswurst zwischen Trinklust und Weisheit kosten Engels Komödianten-Szenen genüsslich aus. Die Chorszenen, von Martin Wagner zu kraftvollen Dynamikstufen hochgerissen, zeigen Engels am Berliner Opernrepertoire geschultes Können.
Für die satt wie ausbalanciert spielende Magdeburgische Philharmonie ist die Regionaloper wie geschaffen. Möglicherweise wurde Engel mit seiner Oper zu spät fertig, denn er blieb beim chromatischen Berauschungsklang, als Hindemith und Komponisten wie Egk und Orff sich längst von diesem entfernten. Anna Skryleva macht Längen vergessen. Der unangenehme Beigeschmack des Erinnerns an Engels Ende aber bleibt – trotz glühender Musik.
Roland Dippel