Heinrich Marschner

Grand Trio

für Klavier, Violine und Violoncello op. 111, hg. von Christian Vitalis

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Dohr
erschienen in: das Orchester 05/2018 , Seite 65

Von Heinrich Marschner heißt es ja gerne, er sei seines Opernschaf­fens wegen bekannt. Richtig ist vielmehr, dass seine Oper Der Vampyr von einschlägigen Enzyklopädien oder Monografien gerne als Beispiel für die deutsche Oper zwischen Carl Maria von Weber und Richard Wagner herangezogen wird – und das, obwohl sie kaum einmal auf dem Spielplan großer Opernhäuser steht, mithin also fast völlig unbekannt ist. Ähnlich verhält es sich mit fast dem gesamten übrigen Werk des 1795 in Zittau geborenen Komponisten: Weitere eineinhalb Dutzend Opern und ein umfangreiches Kammermusik-Œuvre kommen im heutigen Musikleben so gut wie gar nicht vor.
Diese wenig zufriedenstellende Situation verändert sich seit einigen Jahren etwas zum Besseren und beginnt langsam, den Ruhm, den Marschner zeitlebens genoss, angemessener auch in der Gegenwart zu reflektieren. Von den sieben Klaviertrios, die Marschner vor allem am Ende seiner Laufbahn Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben hat, existieren inzwischen immerhin ein paar Aufnahmen, und die in der Edition Dohr erschienene Notenausgabe des zweiten Trios in g-Moll sollte der Verbreitung dieser hörenswerten Musik ebenso dienlich sein.
Dieses Grand Trio, das man ganz gewiss im Zusammenhang mit der geistreichen Kammermusik eines Hummel, Bertini oder von Weber nennen darf, macht seinem Namen alle Ehre. In vier instrumental gut ausgeleuchteten, nicht zu knappen Sätzen dürfen die drei Protagonisten ein beziehungsreiches thematisches Material zu einer im besten Sinne unterhaltenden Kammermusik verbinden. Die Themenbezüge zwischen den Abschnitten leisten dabei keinesfalls einem akademischen Komponieren Vorschub, denn der freie Fluss der Musik hat stets oberste Priorität.
Heinrich Marschner fordert für sein g-Moll-Trio eine durchaus virtuose Herangehensweise, in der vor allem das den beiden Streichern oft stimmführungstechnisch gegenübergestellte Klavier seine ganze Beweglichkeit zeigen darf. Von allen drei Stimmen werden eine Tongebung ohne Druck, klare Akzente und deutliche Kontraste erwartet. Genauso ausgeprägt sollte die Fähigkeit sein, über größere Taktgruppen hinweg gebildete musikalische Zusammenhänge zu entwerfen.
Mit einem virtuosen Klavier, das gleichsam den Motor dieses Trios bildet, und zwei Streichern, die satte Melodiebögen und farbenreiche Pointierungen reaktionsschnell verbinden können, lässt sich aus Heinrich Marschners Grand Trio op. 111 ein zwischen Lebendigkeit und Präzision ideal ausbalanciertes Stück Kammermusik machen, das im Salon wie im Konzertsaal seine Heimat finden dürfte.
Daniel Knödler