Joachim Reiber

Gottfried von Einem

Komponist der Stunde null

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kremayr & Scheriau, Wien 2017
erschienen in: das Orchester 09/2018 , Seite 69

Es beginnt märchenhaft. „Anfang. So viel liegt an ihm. Und so viel in ihm“, raunt es da. „Ein Komponist, der den Anfang schlecht­hin verkörperte“, aber noch nicht das hatte, „was man einen Namen nennt“. Aber er beschert Salzburg einen „lichterlohen Moment“: mit der Uraufführung seiner ersten Oper Dantons Tod bei den Festspielen 1947. „Komponist der Stunde null“ heißt ihn der Buchtitel.
Es geht um Gottfried von Einem, singulärer, aber auch umstrittener österreichischer Komponist und, wohl eher unfreiwillig, Person der Zeitgeschichte. Joachim Reiber, Chefredakteur des Magazins Musikfreunde der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, hat zum 100. Geburtstag des Komponisten 2018 eine weitere Biografie geschrieben. Und beginnt natürlich mit Dantons Tod im Salzburg des Jahres 1947. Und in dieser Nachkriegssituation stellt von Einem Büchners Frage „Was ist das, was in uns lügt, stiehlt, mordet?“ in den Fokus und damit die Frage der Verantwortung nach der Nazi-Diktatur, die man in Österreich und Deutschland lieber leugnete.
Doch in Dantons Tod lag noch mehr Anfang: Er brachte von Einem in die Direktion der Salzburger Festspiele, die „das österreichische“ herausstreichen sollten. Und er war der Beginn der „Salzburger Dramaturgie“ von Oscar Fritz Schuh, Caspar Neher und von Einem, von Reiber überzeugend dargestellt. Ein vielversprechender Auftakt also, der nur leider nicht durchgehalten wird.
Das liegt zum einen an der sprunghaften Dramaturgie des Buchs. Mit dem Kapitel „Ein junger Komponist in Hitlerdeutschland“ ist Reiber überraschend schnell durch, dann geht’s zur „Brecht-Affäre“: Von Einem hatte dem staatenlosen Brecht einen österreichischen Pass verschafft. Dann die Kehrtwende zurück zur NS-Zeit; da seziert Reiber sehr fein das Verhalten von Komponisten wie Werner Egk in der Diktatur.
Grotesk wird die Dramaturgie dann beim Besuch der alten Dame von 1971, wenn Reiber die Oper mit dem Prozess gegen von Einems Mutter 1948 wegen angeblicher Spionage in Zusammenhang bringt. Ein weiteres Manko: Reiber referiert zwar den Nachkriegs-Disput, ob „Schönheit“ überhaupt oder schon jetzt wieder zugelassen werden dürfte, die Schönheit in von Einems Musik benennt, beschreibt er nicht. Wie er überhaupt für Wertung und Einordnung des Œuvres auf eifrig gesammelte Kritiken und Äußerungen anderer Komponisten zurückgreift.
Ärgerlich auch Reibers Manier, den Namen mal mit „von“, meist ohne zu schreiben, auch mal kumpelig „Gottfried“. Vor allem aber geht es ihm um die Innenschau des Komponisten, dem „Zerrissenen“, „Verängstigten“, Sucher nach einer Vaterfigur und immer wieder der Liebe. Da wird Privatestes aus Tagebüchern und Briefen ausgebreitet, das man so ausführlich gar nicht lesen und wissen möchte. Da wäre mehr Diskretion geboten gewesen, zumal die versuchten Bezüge zum Werk eher holprig bleiben.
Ute Grundmann