Johann Sebastian Bach

Goldberg Reflections

Niklas Liepe (Violine), NDR Radiophilharmonie, Ltg. Jamie Phillips, 2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical
erschienen in: das Orchester 05/2021 , Seite 80

30 unsterbliche Variationen über die schlichte Aria in G-Dur hat uns Bach in seinen „Goldberg-Variationen“ für Cembalo hinterlassen. Dreizehn davon enthält diese Doppel-CD in sehr gut klingenden Arrangements für Solovioline, Streichorchester und Cembalo, eingerichtet von Andreas N. Tarkmann. Die Streicher der NDR Radiophilharmonie unter Leitung von Jamie Phillips interpretieren diese mit großer Transparenz und Beweglichkeit und in guter Abstimmung zum souverän spielenden Sologeiger Niklas Liepe.

Dieser hatte den Mut, neben dem Arrangeur noch zehn weitere zeitgenössische Komponisten anzuregen, etwas zu den #Goldberg Reflections beizutragen. Herausgekommen ist dabei eine äußerst ansprechende und inspirierende Vielfalt.

Die elf neuen Werke werden jeweils zwischen den Bach’schen Variationen gespielt. Wer hier eine StilHeterogenität erwartet, wird nicht enttäuscht sein, denn diese ist bei diesem ambitionierten CD-Projekt sicherlich intendiert. Zum einen gibt es Anspielungen auf verschiedene Jazzstile – wofür beispielsweise die Basslinie des Barockmeisters eine gute Grundlage bietet. Zum anderen finden sich häufige Anklänge an unterschiedliche Genres der Filmmusik. Illustrierende Titel wie Goldbergs letzter Sommer, Lullabies for three flowers oder Reflections on a dream weisen in diese Richtung. Bei Letzterem wird ein silbrig-schwebend klingendes Verrofon eingesetzt, vom Komponisten Friedrich Heinrich Kern selbst gespielt. Stephan Koncz greift das Quodlibet der 30. Variation auf und schreibt zum Lied Kraut und Rüben haben mich vertrieben eine witzige Parodie. Weitere Werke wenden sich mit Sleepless after J.S. Bach oder Hallucination Remix den eher verstörenden Träumen zu. Besonders in diesen gibt es einiges an zeit-

genössischen Kompositionstechniken zu entdecken. Moritz Eggert beschäftigt sich in seinen vier kurzen Variationen Goldberg spielt zudem mit virtuosen Spielgesten. Das ganze Kaleidoskop musikalischer Stilistik spiegelt bei allen zeitgenössischen Werken immer wieder in anschaulicher Art und Weise die persönlichen Eindrücke der Komponisten zur Rezeption und Reflexion des Originals.

Aufgenommen wurde dieses spannende, überaus gelungene Projekt im Februar 2020 im kleinen Sendesaal des Landesfunkhauses Hannover. Niklas Liepe wurde dabei solistisch unterstützt von Anna Lewis (Viola) und Nikolai Schneider (Violoncello). Sein Bruder Nils Liepe spielte das Cembalo und in einem Stück auch Klavier. Die Abmischung durch Tonmeister Daniel Kemper ist sehr gelungen. Sowohl das Cembalo als auch die einzelnen Solisten sind immer gut zu hören. Vielleicht hätten die Streicher etwas weniger Höhen in der Abmischung vertragen können, denn durch die barocke Spielweise klingen die Töne ohne Vibrato manchmal etwas scharf.

Wer sich auf eine ereignisreiche Reise in die Musikgeschichte und deren gleichzeitige Reflexion durch aussagekräftige zeitgenössische Kompositionen begeben möchte, wird auf dieser Doppel-CD viel Anregendes zu hören bekommen.

Christoph Keller