Matthias Herrmann (Hg.)
Giuseppe Sinopoli und Dresden
In einem Interview zitierte Eberhard Steindorf, früher Konzertmanager der Sächsischen Staatskapelle Dresden, den italienischen Dirigenten und Komponisten Giuseppe Sinopoli: „Die Musik muss absolut im Sinne des Komponisten realisierbar sein. Die qualitative Texttreue ist Sympathie. Damit meine ich das Mitleiden mit dem, was man dirigiert. Das persönliche Miterleben des dirigierten Konflikts, das nachempfindende Bearbeiten des Stückes. Das Stück muss durch mich hindurchgehen, es muss zum Spiegel meiner eigenen Befindlichkeit werden. Wenn es nicht essenzielle Schichten meiner eigenen Innerlichkeit tangiert, werde ich es nicht erfassen können.“ So weit also Giuseppe Sinopoli, der erst 54-jährig 2001 verstarb – am Dirigentenpult der Deutschen Oper Berlin während einer Aida-Vorstellung.
Sinopolis Erfolg beruhte auf der außerordentlichen Fähigkeit, Philosophie und Analyse in fesselnden Klang zu verwandeln. Matthias Herrmanns Textanthologie dokumentiert die Erfolgsgeschichte des sächsischen Spitzenklangkörpers, der sich nach der Wiedervereinigung neu orientierte, von den ersten gemeinsamen Auftritten mit Sinopoli 1990 bis zur letzten USA-Tournee 2001.
Artikel in Tageszeitungen, Berichte von unmittelbar Beteiligten, von Partnern wie Peter Ruzicka und von Orchestermitgliedern fügen sich zum schillernden Mosaik einer auch unter der Ägide von Christian Thielemann keineswegs verblassten Erfolgsgeschichte: Sinopoli hatte wenige Wochen vor seinem unerwarteten Tod einen Vertrag als zukünftiger Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatskapelle mit erweiterter Verantwortung für die Semperoper unterschrieben. Doch zu dem geplanten Verdi-Zyklus, der an die Dresdner Verdi-Aufführungen vor 1933 unter Fritz Busch anknüpfen sollte, kam es es nicht mehr. Die umfangreichen Tournee- und Aufnahmetätigkeiten der Staatskapelle unter dem vom Komponieren immer mehr zum Dirigieren findenden Sinopoli blieb auf deutsche romantische Sinfonik, Richard Strauss und Zweite Wiener Schule konzentriert. Sinopolis hohe Affinität zum Musiktheater ist in seinen Dresdner Aufnahmen von Strauss’ Frau ohne Schatten und der komplexen Gurrelieder von Arnold Schönberg exemplarisch dokumentiert.
In kleinen Ausblicken zeigt sich, wie die Annäherung zwischen Sinopoli und dem sächsischen Luxusklangkörper in einer stabilen Wachstumskurve mit beidseitigem Wunsch nach einer künstlerischen Lebensgemeinschaft gipfelte. Sinopoli hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Spieltraditionen des Klangkörpers zu stabilisieren.
Erwähnung findet auch das Innenleben der Proben- und Konzertabläufe, Sinopolis Aufmerksamkeit für berufliche und persönliche Anliegen der Musiker und seine zunehmende Begeisterung für Dresden als Lebensmittelpunkt. Sinopoli, der Strauss’ Elektra in der Aufnahme unter Karl Böhm mit der Staatskapelle aus dem Jahr 1960 als einen seiner stärksten musikalischen Jugendeindrücke betrachtete, fand immer intensive Worte für seinen Wirkungsort Dresden, an dem auch einige seiner besten Aufnahmen entstanden.