Jacobshagen, Arnold
Gioachino Rossini und seine Zeit
Von Gioachino Rossini erlebt man auf der Bühne neben seinem unverwüstlichen Barbier hauptsächlich noch Die Italienerin in Algier und La Cenerentola. Der Seria-Bereich wird selten durch mehr als Wilhelm Tell abgedeckt. Gelegentlich erinnern Aufführungen des Stabat Mater oder der Petite messe solennelle daran, dass Rossini auch geistliche Werke von seriösem Anspruch schrieb. Außerdem gibt es noch die köstlichen Spätgeburten der Péchés de vieillesses, der Alterssünden also.
Der Musikwelt hat sich der Komponist als genussfreudige Frohnatur eingeprägt. Dieser sehr einseitigen Einschätzung entspricht auch die bekannte Fotografie aus dem Jahr 1865, welche den Einband von Arnold
Jacobshagens Buch Gioachino Rossini und seine Zeit ziert. Aber der füllige Körper ist in Wirklichkeit krankhaft aufgeschwemmt, das Haupt ziert eine Perücke. Zeitlebens plagten den Komponisten Krankheiten und Depressionen. Auch solche außermusikalischen Details schildert der an der Kölner Musikhochschule lehrende Autor ausführlich, wobei er eine schier unübersehbare Fülle an Sekundärliteratur und Forschungsberichten heranzieht.
Die falsche, mitunter sogar entstellende Beleuchtung von Rossinis Leben und Schaffensweise rührt nicht wenig von Stendhals Vie de Rossini (1824) her mit seinen vielen falschen Fakten, die als Zeitzeugenberichte kaum je kritisch hinterfragt wurden. Dass auch in anderen Publikationen anscheinend authentische Äußerungen Rossinis vielfach in Zweifel zu ziehen sind, hat möglicherweise mit dem persönlichen Understatement des Komponisten zu tun, der weder Lob noch Tadel wirklich an sich heranzulassen schien und sich gerne in ironischen Äußerungen erging. So wurden persönliche Bemerkungen vielfach unverstanden nach außen getragen.
Die kompositorische Sprache Rossinis sah man gerne heterogen gemäß der Lehre von den Stilhöhen und bewertete die Opernentwicklung von Buffa/Farsa zu Semiseria, dann von Seria zur Grand Opéra als qualitative Steigerung. Dass zum dezidierten Personalstil Rossinis aber unabdingbar die radikale Übernahme von Buffa-Zügen in die Opera Seria gehört, hat immer wieder Irritationen ausgelöst. Diesen (und vielen anderen) Fragen geht die Publikation mit einer nachgerade erschlagenden analytischen Genauigkeit auf den Grund. Man ist dankbar für die fundierten (und vielfach massiv korrigierenden) Darlegungen des Autors (zu denen unter anderem das Verhältnis Rossinis zur Musik Bachs gehört); freilich erfordern sie gelegentlich (auch wegen anspruchsvoller Formulierungen) ein wiederholtes Lesen.
Der Rossini-Taumel verebbte nach dem Tod des Komponisten, doch fand sein uvre seit den 1920er Jahren erneut starkes Interesse, auch bei einer Reihe zitatfreudiger Komponisten. Heute werden selbst Rossinis Randwerke wieder ausgiebig gepflegt. Da war Jacobshagens kluges, erhellendes Buch einfach fällig. Dass es neben dem finalen Bildteil ein ausführliches Register enthält, versteht sich beim Anspruch dieser Publikation.
Christoph Zimmermann