Arnold Jacobshagen

Giacomo Puccini und seine Zeit

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Laaber Verlag, Lilienthal
erschienen in: das Orchester 3/2025 , Seite 68

In seiner neusten Publikation bricht der Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen allen weitverbreiteten Vorurteilen zum Trotz eine Lanze für Giacomo Puccini: „Zweifellos zählt Puccini zu den umsatzstärksten und wertbeständigsten Klassikern des internationalen Kulturbetriebs […]. Dieser Befund […] ist bereits seit mehr als einem Jahrhundert offenkundig und stabil.“ Die Gründe bekräftigt Jacobshagen in seinem weit ausholenden Buch mit Analysen der musikalischen Dramaturgie sowie einer präzisen Familien-, Werk- und Zeitdarstellung. Puccini war für Jacobshagen „ein Perfektionist singulären Ranges. Er schuf eine Reihe von Werken für die Opernbühne, die sich neben ihren offenkundigen dramaturgischen, melodischen, harmonischen und instrumentationstechnischen Qualitäten vor allem durch die äußerste Präzision sämtlicher musikalischer Strukturen und Details bei konsequentem Verzicht auf Randständiges und Ausuferndes, auf Leerlauf und Redundanz auszeichnen. Puccini war ein Meister des Zuspitzens wie des Maßhaltens.“ Es lässt sich nicht abstreiten: Puccinis Musik trifft den Zuhörer ins Herz, aber es lohnt sich, diese Musik zu reflektieren, um zu erkennen, wie raffiniert das vermeintlich Seichte, das vermeintlich Konventionelle bei Puccini ist.
Puccini, so zeigt Jacobshagen, erweist sich auch und gerade „in seiner einzigen komischen Oper als ein Seismograph der musikalischen Moderne“. Mit Puccinis 12 Opern erlebte die Fattung einen Paradigmenwechsel, was schon am Beispiel seiner Geschlechterrollen und Operntitel sichtbar wird: Viele weibliche Bühnengestalten in den Opern Puccinis sind Frauen, die liebend leiden oder leidend lieben; die sich selbst opfern oder geopfert werden. Puccini zeigt in seinen Operntiteln im Gegensatz zu Verdi und Wagner mehr Frauen- als Männernamen.
Puccini wird als Vertreter des Endes einer Tradition gesehen, aber er hat den Speer weit in die Zukunft geschleudert. Anspielungen auf seinen Stil lassen sich in Werken von Janáček, Korngold, Orff und Berio, Rodgers und Hammerstein, John Williams, Al Jolson und Andrew Lloyd Webber hören. „Die technologische Präzision seiner Partituren weist ihn als einen der ersten Repräsentanten der europäischen Moderne im Bereich des Musiktheaters aus.“ Man sollte ihn als Komponisten nicht unterschätzen, so die Botschaft des Buchs. Kurt Tucholskys Diktum, Puccini sei der „Verdi des kleinen Mannes“, sei unzutreffend.
Jacobshagen ist nichts hinzuzufügen. Eindrucksvolles Fotomaterial, ein Werkverzeichnis, eine informative Bibliografie und verschiedene Register machen das Buch im Vorfeld seines hundertsten Todestages zum neuen Standardwerk.
Dieter David Scholz