Werke von Beethoven, Rameau und Tüür

Gewaltakt

Ensemble Reflektor. Ltg. Thomas Klug

Rubrik: CD
Verlag/Label: Paschenrecords
erschienen in: das Orchester 06/2019 , Seite 66

Gewaltakt: Das ist ein seltsamer, ein provokant wirkender Titel für eine CD-Neuveröffentlichung. Aber er ist typisch für die künstlerische Arbeit des Ensembles Reflektor, das in der vorliegenden Einspielung zu hören ist. Das im Frühjahr 2015 von einer Gruppe be­freun­deter junger Musiker ge­grün­dete Kammerorchester hat es sich zum Ziel gesetzt, vor allem die Jugend und ein klassikfernes Publikum mit seinen Auftritten zu begeistern.
Dazu dienen Konzerte, oder besser gesagt „Projekte“, die unter einem Obertitel wie „Licht“ oder „Schicksal“ themenbezogene Kompositionen aus unterschiedlichen Epochen kombinieren, wobei oftmals Beethovens Œuvre den Ausgangspunkt bildet: „Im Zentrum der Arbeit von Ensemble Reflektor steht seit Gründung des Orchesters ein chronologisch angelegter Beethoven-Zyklus, in dem die Sinfonien jeweils in einem individuellen programmatischen Kontext dargestellt werden“, kann man dazu auf der Homepage des Ensembles lesen. Und weiter: „Dem liegt die Überzeugung zu Grunde, dass Beethovens Musik ihre Aktualität nicht verloren hat. Die Programme, in die die Sinfonien eingebettet sind, beleuchten jeweils bestimmte Aspekte des Hauptwerkes und intensivieren so die Hörerfahrung.“
Im Falle des 2017 entwickelten Projekts Gewaltakt sind es Beethovens Fünfte und seine Ouvertüre zum Schauspiel Coriolan, die den Rahmen für eine Folge von Werken bilden, in denen „Gewalt, Leid und Schmerz präsent ist“. Von Beethoven aus geht der Blick zum einen zurück zu Jean-Philippe Rameau, zum anderen nach vorne zur Musik des estnischen Zeitgenossen Erkki-Sven Tüür.
Zusammenstellung und Höreindruck der Einspielung, die unter Leitung von Thomas Klug, dem langjährigen Konzertmeister der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, entstanden ist, bieten Stoff zum Nachdenken, ja zum Rätseln. Der Bezug zum Thema Gewalt ist wohl bei Beethovens Coriolan-Ouvertüre offensichtlich und auch bei seiner Fünften, und zwar nicht nur in ihren kantig formulierten c-Moll-Teilen, sondern auch im Finale, dessen Jubel betont grell und wie erzwungen wirkt (mit bewusst herausgezeichneter, schriller Piccoloflöte). Die beiden anderen Kompositionen beziehen hierzu jedoch eher eine Gegenposition. Friedlich und idyllisch wirkt vor allem Rameaus Entrée pour les muses aus dem vierten Akt seiner Oper Les Boreades, und auch in Erkki-Sven Tüürs The Path and the Traces steigt der Erregungspegel zwar phasenweise nach oben, doch beginnt und endet diese Kompositionen aus dichten Streicherklängen, Glissandi und Flageoletts ruhig: ist sie doch als Hommage an Tüürs Landsmann Arvo Pärt zu dessen 70. Geburtstag entstanden.
Einen Gewaltakt für sich vollziehen Booklet und CD-Hülle:
Sie künden, Beethovens Coriolan-Ouvertüre stünde in d-Moll. Dem Höreindruck nach belässt es die Einspielung allerdings dann doch bei Beethovens Originaltonart
c-Moll.
Gerhard Dietel