Jakob Auenmüller
Getrennt vereint – Stimmen und Klänge der Nachwendezeit
Zum Umgang mit Musik aus der DDR und den neuen Bundesländern nach 1990
Hinter Jakob Auenmüllers Dissertation steckt die Frage, inwiefern es mehrere Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung doch noch eine soziologische und mentale Trennlinie zwischen Ost und West gibt. Der Autor wurde im Wiedervereinigungsjahr 1990 geboren, ist in Radebeul, Dresden und Leipzig verwurzelt und hat in Hamburg promoviert. Seinem Gegenstand nähert er sich mit verschiedenen Methoden: Statistiken mit Analyse und Auswertung, Interviews mit Zeitzeugen und Vertretern relevanter Berufe und Literatur.
Er überträgt die Frage, zu welchen Anteilen aus Anpassung und Teilhabe die Konsolidierung der neuen Bundesländer vonstattenging, in die Rezeption ostdeutscher versus westdeutscher Musik seit 1989. Welchen Anteil hat die vor und nach der Wende in den neuen Bundesländern entstandene Musik in den neuen bzw. alten Bundesländern? In welcher Verhältnismäßigkeit stehen Aufführungen von Neuer Musik aus den neuen und alten Bundesländer bei Festivals, in Konzerten, in der Bildung und im (Musik-)Unterricht?
Für Auenmüller ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass er das Thema aus seinem Gefühl der Ungleichheit, nicht aber aus persönlicher Verletzung entwickelt habe. Es wurde eine sehr persönliche Schrift, weil der Autor seine inhaltlichen Etappenschritte genau reflektiert. Die Ergebnisse seiner Erhebungen, seine Argumentation und die Methodik bieten Angriffsflächen. Das liegt aber weniger an Auenmüller selbst als an den bei deutsch-deutschen Definitionen generellen Problemen der präzisen Klassifizierbarkeit. Gehört eine vor 1989 aufgrund ihrer politischen Überzeugung aus der DDR geflüchtete oder ausgereiste Person zur ost- oder westdeutschen Musikergruppe? In solchen Fällen, auch bei der Klassifizierung von Konzertformaten, gibt der Autor für die statische Zählung geringfügige Vereinfachungen zu. Auffallend ist, dass einige Genres, die in der DDR zu einem mehr oder weniger großen Anteil eine Rolle gespielt haben und nach der Wiedervereinigung fast gänzlich aus der musikwissenschaftlichen Betrachtung bzw. aus der Musiköffentlichkeit verschwunden sind, von Auenmüller nicht erwähnt werden.
Nach den Auswertungen und Rückfragen kommt Auenmüller zu folgenden Ergebnissen: Die Bewertung der Musik nach ihrer ost- bzw. westdeutschen Herkunft scheint derzeit tendenziell zu verfließen. Vor 2000 war in ganz Deutschland die Zahl der aufgeführten Werke aus beiden Teilen Deutschlands gestiegen, um später durch die Tendenz zu einer internationalen Ausrichtung der Gegenwartsmusik abzusinken. In jüngeren Jahren entwickelte sich die Tendenz, dass im Musikleben der beiden deutschen „Hemisphären“ Werke von eigenen Komponisten favorisiert wurden. Vor und nach 1989 entstandene Musik aus Ostdeutschland wird vor allem in Sonderzyklen und Themenfestivals gespielt, überregional ist sie in allen Vermittlungs- und Aufführungsformaten weniger präsent als Werke aus den alten Bundesländern.
Roland Dippel